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03. August 2021

(02.08.2021) Freiwasserschwimmer sind es gewohnt, dass die Bedingungen bei ihnen unberechenbar sein können. Kälte, Hitze, Regen, Sturm, Wellen. All das gehört dazu, wenn man im offenen Gewässer auf Medaillenjagd geht. Doch die Gegebenheiten bei den Olympischen Spielen in Tokio dürften selbst die erfahrensten Open Water Routiniers vor eine Herausforderung stellen.

"Wir werden unter extremen Bedingungen schwimmen", weiß so auch Rob Muffels, der gemeinsam mit Florian Wellbrock, Leonie Beck und Finnia Wunram das Quartett bildet, das für Deutschland in den kommenden beiden Nächten bei den olympischen 10km-Events an den Start gehen wird. Die Wassertemperaturen reichen an die 30°C heran, die Luft ist schwül, sodass das Atmen schwer fällt und das warme Nass in der Bucht von Tokio ist alles andere als klares Bachwasser. 

Maximal 31°C Wassertemperatur sind laut Reglement erlaubt. Derzeit sieht es danach aus, dass man hier knapp drunter bleibt. Einen Plan B für den Fall, dass das Wasser heißer wird, gibt es wohl auch gar nicht. "Es werden Bedingungen wie in der heftigsten Mittagshitze in Europa", meinte Bundestrainer Bernd Berkhahn schon in der zurückliegenden Woche. Beim Einschwimmen am Montag hatte das Wasser eine Temperatur von 29°C. Es darf also darauf gehofft werden, dass alles regulär stattfinden kann. Doch die Hitze ist nicht die einzige Herausforderung.

"Das Wasser auf der Strecke ist sehr trüb. Man hat vielleicht eine Sichtweite von etwa 30 Zentimetern", erklärt Berkhahns Schützling Florian Wellbrock, der nach Beckenbronze über die 1500m nun im Open Water als amtierender Weltmeister ins Rennen geht. Die Würzburgerin Leonie Beck weiß, dass man bei den schwierigen Sichtverhältnissen aufmerksam bleiben muss: "Das heißt, dass wir zur Orientierung öfter den Kopf aus dem Wasser heben müssen. Wenn man direkt hinter jemandem schwimmt, sieht man gerade noch die Luftblasen des Beinschlags, aber ansonsten ist die vorweg Schwimmende schnell mal weg.“

Man sollte sich also nicht von der Konkurrenz überraschen lassen. Neben den Bedingungen schränkt auch das recht kleine Startfeld von jeweils nur 25 Teilnehmenden die Möglichkeiten für strategische Spielchen in Tokio ein. Normalerweise werden so zum Beispiel in der Frühphase von Open Water Rennen gern mal Tempoverschärfungen genutzt, um Löcher ins Feld zu reißen. "Das könnte diesmal weniger zweckdienlich sein", meint Rob Muffels, der es auch nicht als taktischen Vorteil sieht, dass die Deutschen bei Olympia jeweils zwei Startplätze ergattern konnten. "Man kennt zwar einen Konkurrenten besser als die anderen und hat jemanden, der vielleicht etwas mehr Rücksicht nimmt. Aber es gibt keine gemeinsame Strategie."

Zumindest auf dem Weg nach Tokio habe man aber davon profitiert, dass man eine gemeinsame Vorbereitung bestreiten konnte. Dabei versuchte sich das Magdeburger Trio, zu dem neben Wellbrock und Muffels auch Finnia Wunram gehört, schon frühzeitig auf die warmen Temperaturen einzustellen. Man arbeitete mit Wärmebecken und - manchmal auch ungewollt - höheren Temperaturen im Training und trainierte zudem die Zufuhr gekühlter Getränke. "Das ist nicht unbedingt üblich und eigentlich wird im Sommer ja davon abgeraten, kalt zu trinken", meint Rob Muffels.  "Aber damit versuchen wir unsere Körperkerntemperatur während des Rennens herunter zu kühlen." Er selbst sei zunächst skeptisch gewesen, ob das tatsächlich etwas bringt. "Ich habe dann aber gemerkt, dass es sich doch positiv auf den Körper auswirkt."

Den Athleten kommt in diesem Zusammenhang entgegen, dass der Kurs in Tokio nicht wie üblich in 2,5km-Runden aufgeteilt ist, sondern das Rennen über sieben Runden á 1,4km stattfindet. "Damit haben wir sechs Verpflegungsmöglichkeiten", erläutert Bernd Berkhahn. "Davon sollte man keine verpassen bzw. höchstens die Letzte weg lassen, damit der Gegner die Situation nicht ausnutzen kann." Der Kurs sei relativ einfach zu schwimmen, mit vielen Orientierungsbojen, so Finnia Wunrams Einschätzung zur Strecke. "Einzige Schwierigkeit ist, dass die Sonne zum Finish hin sehr blendet und das Wasser ziemlich trüb ist. Ich kann kaum meine Hand unter Wasser sehen." 

Wunram wird in der kommenden Nacht um 23:30 Uhr Deutscher Zeit bzw. 6:30 Uhr Ortszeit gemeinsam mit Leonie Beck den Auftakt machen. Die Herren sind dann einen Tag später an der Reihe. Die selbst für Freiwasserschwimmer ungewöhnlich frühe Startzeit ist ebenfalls den Temperaturen geschuldet. Das hat zum einen die von Wunram beschriebene tief stehende Sonne zur Folge. Zum anderen werden die Teilnehmenden wohl recht früh aufstehen müssen. "Vom Dorf zur Strecke sind es nur 20 Minuten, allerdings fahren so früh noch nicht so viele Busse. Für uns ist die Abfahrt für 03:45 Uhr vorgesehen, ich würde gern lieber etwas später los und hoffe, da findet sich noch eine Lösung", blickt Leonie Beck voraus.

In Tokio werden die Open Water Asse also nicht nur gegen die Konkurrenz sondern auch die ungewöhnlichen Gegebenheiten vor Ort kämpfen. "Entscheidend wird am Ende, wer mit den Bedingungen am besten klar kommt", blickt Bernd Berkhahn voraus und Finnia Wunram meint: "Letzten Endes sind die Bedingungen für alle gleich. Wir haben uns gut darauf vorbereitet und ich freue mich auf mein Rennen."

Die Links zu den Olympischen Spielen 2021:

Bild: IMAGO / Panoramic International