(11.06.2017) Es ist wieder so weit: In der kommenden Woche kämpfen die besten Schwimmer des Landes bei den Deutschen Meisterschaften um Titel und WM-Startplätze. Für die Sportler geht es um einiges. Doch wie vor jeder Schwimm-DM bestimmen auch im Jahr 2017 die Schlagzeilen vom Rande des Wettkampfbeckens das Geschehen. Das Streitthema diesmal: Zentralisierung.

Geht es nach Chef-Bundestrainer Henning Lambertz, dann würden die deutschen Kaderschwimmer zukünftig nur noch an den Leistungszentren des DSV ihre Bahnen ziehen. "Das Ziel ist, vor allem aufstrebende C- und D-Kaderathleten über kurz oder lang an den Bundesstützpunkten zu versammeln", erklärte Lambertz vor kurzem.

Kräfte bündeln, die Rahmenbedingungen an ausgewählten Standorten optimieren, stärkere Konkurrenz im Training - klingt ja an sich gar nicht so verkehrt. "Es gibt natürlich Leute für die ist es keine Schwierigkeit, an einen großen Stützpunkt zu gehen und sich da wohl zu fühlen. Aber es gibt halt auch viele, die haben da richtig Probleme und dann wird das auch nix", hält Alexander Kreisel, der Heimtrainer von Marco Koch, dagegen und warnt: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Leute dann aus dem Raster fallen und wir dadurch wichtige Talente verlieren."

Wichtig sei, dass der Sportler sich wohl fühle. "Das ist meiner Meinung nach das A und O", erklärt Kreisel im Interview der kommenden Sommerausgabe des swimsportMagazine (noch bis 11.06. im Abo). Er selbst trainiert seit 15 Jahren abseits der großen Stützpunkte die Schwimmer des DSW 1912 Darmstadt und konnte nicht nur durch den WM-Titel von Marco Koch zeigen, dass solche Insellösungen funktionieren können.

"Die Frage ist am Ende, wo und wie kannst du absolute Weltklasseleistungen produzieren.(...) Wir haben es jetzt zum Glück mal bewiesen, dass es auch an einem Standort wie Darmstadt geht", meint Kreisel. "Aber ich mache da keine Wunderdinge. Ich wundere mich eher manchmal selbst, wieso das bei manchen größeren Stützpunkten nicht so läuft, wo die Bedingungen mit Sicherheit noch besser sind als bei uns."

Zum Thema Zentralisierung findet er es "schade, dass dieser Weg so extrem gewählt wird." Die strikte Gangart, die Henning Lambertz in dieser Frage anschlägt, stößt nicht überall auf Gegenliebe. Zwar sagt der Bundestrainer, er wolle keinem etwas aufzwingen, doch für diejenigen, die seinen Weg nicht mitgehen wollen, hat er klare Worte: "Wollen sie ihr eigenes Ding machen, muss und werde ich dies akzeptieren, allerdings erfahren sie vom DSV dann keine Unterstützung mehr. Bei weniger werdenden Mitteln muss ich diese auf die konzentrieren, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind."

Diese Worte sind nicht neu. Bereits im Herbst hatte Lambertz sich am Rande der Deutschen Kurzbahnmeisterschaften ähnlich geäußert. Doch erst Stück für Stück wird deutlich, wie die Konsequenzen für diejenigen, die seinem Konzept nicht folgen wollen, aussehen. Zum Beispiel bei Vanessa Grimberg: Die mehrfache Deutsche Meisterin und Olympiateilnehmerin verliert demnächst ihre Arbeitsstelle als Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr, weil sie nicht an den Bundesstützpunkt nach Heidelberg wechseln und ihr gewohntes Umfeld in Stuttgart verlassen will.

Was Grimberg nun schon zu spüren bekam, könnte demnächst weitere Sportler erwischen. Seit kurzem werden die Mittel der Deutschen Sporthilfe nicht mehr auf Basis der A-D-Kaderzugehörigkeit verteilt. Stattdessen haben die Fachverbände eine bestimmte Anzahl an Plätzen auf den unterschiedlichen Förderstufen, die sie mehr oder weniger unter den aus ihrer Sicht geeigneten Sportlern verteilen können. Beim DSV fällt diese Entscheidung für die Schwimmer das Team um Henning Lambertz - ein immenses Druckmittel.

"Wer nicht bei seinem System mitmacht, hat keine Chance bei ihm. Da kann ich verstehen, wenn Betroffene von Nötigung sprechen", erklärte vor wenigen Tagen Frank Embacher, der einstige Coach von Paul Biedermann. Dessen Schützling pflichtet in der Süddeutschen Zeitung bei: "Der Verband muss die Talente unterstützen und fördern, anstatt sie zu vergraulen." Zum Fall von Vanessa Grimberg meint Biedermann: "Das ist doch Wahnsinn. So viele Schwimmer haben wir nicht, dass man die besten gleich so fallen lassen kann, wenn sie sich nicht unterordnen."

Embacher selbst befindet sich derzeit im Rechtstreit mit dem DSV, da er zum Jahreswechsel ohne Vorankündigung seinen Posten als Leiter des DSV-Bundesstützpunktes in Halle verlor. Wie es in der Saalestadt sowie bei den auf einen Bundesstützpunktstatus hoffenden Landeshauptstädten Magdeburg und Potsdam weitergeht, ist derzeit übrigens ebenfalls noch offen. Für die Athleten ist diese Ungewissheit wiedermal so kurz vor der Qualifikation für den Saisonhöhepunkt, alles andere als förderlich. "Uns beschäftigt das sehr. Wir machen uns viele Gedanken, wie es hier weitergeht", erklärte so zum Beispiel der Olympiafinalist Christian Diener gegenüber den Potsdamer Neusten Nachrichten.

Auch bei ihm sorgt der mögliche Zwang, den Standort zu wechseln, sollte Potsdam kein Bundesstützpunkt werden, für Unmut: "Das hätte für uns Aktive schlimme Folgen. Wir müssten hier alles abbrechen, woanders hingehen, an einen Bundesstützpunkt. Das wäre einfach bitter, weil wir hier eigentlich super Bedingungen haben. Die besten, die ich mir nur vorstellen kann."

Alexander Kreisel spricht sich im Interview dafür aus, den einzelnen Sportler und dessen Bedürfnisse zur Entscheidungsbasis zu machen statt dem Stützpunktzwang zu folgen: "Ich denke auch, da müssen wir etwas individueller schauen und sagen, „Ja“ – bei dem Einen wird es wahrscheinlich funktionieren und dem bieten wir die Möglichkeiten, aber man muss es auch den anderen, bei denen das nicht der Fall sein könnte, ermöglichen eine solche Insellösung wahrzunehmen."

Bei Marco Koch habe es gut funktioniert, ihn in seiner "Wohlfühloase" zu belassen und ihm stattdessen durch Trainingsreisen zu anderen Coaches und Gruppen immer mal wieder neue Reize zu verpassen. "Das haben wir in den letzten Jahren auch immer ganz bewusst gesucht", so Kreisel. "Die Frage ist halt, ob es das ganze Jahr über gut wäre. Ich glaube, für Marco ist es wichtig, sich auch mal in sein gewohntes Umfeld zurückziehen zu können. Dieses müsste er sich irgendwo anders erstmal neu schaffen."

Auch Frank Embacher spricht sich für derartige punktuelle gemeinsame Traininglager mit den Sportlern anderer Vereine und Stützpunkte aus. "Ich glaube, dass es viel erfolgversprechender ist, die Schwimmer im Jahresverlauf immer wieder zusammenzuziehen. Je nach Lage oder wie in meinem Staffelprojekt", erklärt er im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bei Paul Biedermann scheint es gewirkt zu haben: "Mich hat in den letzten Jahren unser Staffelprojekt noch mal sehr gepusht. Da trifft man sich regelmäßig in einer anderen Halle, nimmt die lokalen Nachwuchsschwimmer dazu, damit die einen Eindruck bekommen, wie die Profis trainieren."

Erst war es das Kraftkonzept, dann die Entscheidungen über Stützpunktorte und -trainer und nun der "Stützpunktzwang". Auch in der Frage, wie es mit der Leistungssportreform des DOSB konkret weitergeht, ist nur die Ungewissheit der Verantwortlichen gewiss... Es sind unruhige Gewässer, durch die sich die Athleten zurück an die Weltspitze schwimmen sollen und irgendwie werden die Wellen seit Rio nicht sanfter, sondern schlagen ihnen immer wuchtiger entgegen.

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