Videotipp
14. Juli 2019

(14.07.2019) Nicht nur den beiden Deutschen Finnia Wunram und Leonie Beck verlangte der Kampf um die Olympia-Tickets im südkoreanischen Yeosu bei der WM 2019 am Sonntag alles ab. Auch bei ihren internationalen Konkurrentinnen gab es ein wahres Wechselbad der Gefühle. Die dicksten Tränen dürfte dabei die Französin Aurelie Muller verdrückt haben.

Als amtierende Titelverteidigerin hätte sie in Südkorea Geschichte schreiben können. Bereits 2015 und 2017 wurde sie Weltmeisterin über die 10km. Dreimal hintereinander ist dies noch keiner Athletin gelungen. Und tatsächlich: Zunächst lief alles nach Plan. Ihre Teamkollegin Lara Grangeon erledigte in der ersten Rennhälfte viel Führungsarbeit, nach etwas mehr als einer Stunde dann übernahm Muller die Spitze.

Bis kurz vor dem Ziel sah sie als sichere Siegerin aus, zog sogar das Tempo an. Doch die Konkurrentinnen blieben dran, unter anderem die Italienerin Rachele Bruni. Diese hatte nahezu das gesamte Rennen im Mittelfeld zugebracht und sich erst auf der letzten halben Runde nach vorn gekämpft. Dabei könnte "kämpfen" das Stichwort sein. 

Wie Mullers Team nach dem Rennen laut einheimischen Medien reklamierte, habe sich die Italienerin auf die Hüfte ihrer Konkurrentin gestützt und sie dadurch behindert sowie Kraft gekostet. Von unsportlichem Verhalten war die Rede, doch das Kampfgericht lehnte einen Einspruch des französischen Verbands ab. Brunis "Taktik" ist nicht unüblich. Bei der EM 2018 hatte sich der Niederländer Ferry Weertmann gekonnt auf die Hüfte des Deutschen Florian Wellbrock gelegt und so seinen merklich leichter gebauten Gegner mürbe gemacht.

Bruni und Muller verbindet dabei eine Vorgeschichte: Bei den Olympischen Spielen 2016 wurde der Französin die Silbermedaille über die 10km aberkannt, weil sie sich im Zielkoridor auf eine Gegnerin gestützt haben soll - dies war eben jene Rachele Bruni. Ob Unsportlichkeit oder gar Revanchfoul oder aber nur normaler Platzirungskampf - Muller kosteten die letzten Meter des 10km-Rennens heute nicht nur den Titel sondern auch die Chance auf die Olympiateilnahme in Tokio.

Während sich Bruni nämlich über Bronze freuen konnte, landete Muller auf dem bitteren elften Platz. Nur die besten Zehn des Rennens von Yeosu konnten sich für Olympia 2020 qualifizieren. Nach fast zwei Stunden in einem äußerst schnellen Damenrennen fehlten Muller letztlich gerade einmal 0,1 Sekunde auf Rang zehn. 

Den rettenden Platz für die Olympia-Qualifikation sicherte sich dabei ausgerechnet die Niederländerin Sharon van Rouwendaal, die gemeinsam mit Muller bei Frankreichs Trainerlegende Philippe Lucas ihre Bahnen zieht. Van Rouwendaal machte es dabei für ihre Anhänger äußerst spannend. Im Gegensatz zu Muller schwamm sie nahezu das ganze Rennen im hinteren Feld, war mit Ausnahme von wenigen Momenten zu Beginn des Events nicht ein Mal unter den besten Zehn zu finden. "Am Anfang dachte ich nur: Bleib ruhig, bleib ruhig. In der dritten Runde war ich dann aber so weit hinten, dass ich nur im Wasserschatten folgen konnte", meinte sie nach dem Rennen zurückblickend.

Erst auf dem letzten Metern ging van Rouwendaal mit nach vorn in den Pulk der Schwimmerinnen, die auf das Ziel zukraulten und brachte die Hand einen Hauch vor ihrer geschwächten Trainingskollegin Aurelie Muller an die Wand. Was folgte war das bange Warten auf das offizielle Ergebnis. "Ich saß da ​​und dachte: Ich hatte dieses Jahr so ​​viel Pech mit Verletzungen. Als bekannt wurde, dass ich unter den Top Ten war, musste ich vor Freude weinen."

Als amtierende Olympiasiegerin hätte van Rouwendaal so beinahe ihr direktes Ticket nach Tokio verpasst. Doch während sie - wäre sie auf Platz elf gelandet - noch einmal beim 2020 anstehende Qualifikationsrennen in Fukuoka eine zweite Chance erhalten hätte, ist der Olympiazug für Aurelie Muller endgültig abgefahren. Denn mit Lara Grangeon belegte die zweite Französin am Ende des WM-Rennens Platz vier und ist damit für Tokio gesetzt. Beim Quali-Event im kommenden Jahr werden die verleibenden 15 Startplätze nur an Athletinnen aus Nationen vergeben, aus denen sich in Südkorea keine Schwimmerin für Olympia qualifizieren konnte.

Eigentlich wollte Muller, die zuletzt eine Pause einlegte und in Südkorea ihr Comeback gibt, mit der Qualifikation für Tokio den Grundstein legen, um ihrem Traum von einer Olympia-Medaille wieder einen positiven Glanz zu verleihen, nachdem dieser 2016 in Rio zum Alptraum wurde. Doch daraus wird nun nichts. Eine alte Konkurrentin, die eigene Trainingskollegin und letztlich das Pech beim Anschlag machten sie zur tragischen Figur eines packenden WM-Rennens.

Die Links zur Schwimm-WM 2019