(21.01.2019) Wenn Schwimmer in Frankreich den Namen Philippe Lucas hören, dann beginnt bei vielen direkt das Schlottern in den Knien. Der 55-Jährige ist in seiner Heimat berühmt für harte Trainings und hohe Umfänge. Schon sein Äußeres hebt sich vom Auftreten anderer Coaches ab. Statt der Stoppuhr hängt die Goldkette mit dem Symbol "D12" - einer Rapper-Clique um Eminem - um seinen Hals und mit den langen blonden Haaren sowie einer den Look komplettierenden Sonnenbrille sieht Lucas mehr aus wie ein kalifornischer Surferdaddy als ein Spitzen-Schwimmtrainer.
Ihn selbst schert es recht wenig, was der Rest der Welt über ihn sagt, denkt oder schreibt. "Viel wichtiger ist es zu wissen, was man selbst wert ist und erreichen möchte. Alles was hinter meinem Rücken über mich gesagt wird, ist kein Problem, es interessiert mich nicht", erklärt Lucas in einem vom Weltverband FINA veröffentlichten Portrait über den Starcoach, der sich nur selten außerhalb Frankreichs gegenüber Medien äußert und dafür seine mangelnden Englischkenntnisse anführt.
Die internationalen Top-Athleten scheint dies allerdings nicht daran zu hindern, sich in die Obhut von Lucas zu begeben. Mit den Italienern Federica Pellegrini und Filippo Magnini sowie derzeit Sharon van Rouwendaal aus den Niederlande, Anna Egorova aus Russland oder auch dem deutschen Olympiateilnehmer Andreas Waschburger zogen und ziehen immer wieder Spitzenschwimmer aus aller Welt bei ihm ihre Bahnen. Und das können sehr viele werden: Im Durchschnitt, so Lucas, würden die Athleten bei ihm etwa 17 Kilometer pro Tag schwimmen.
"Zu allererst müssen sie (die Schwimmer) gern trainieren. Das ist der erste Schritt, aber auch schon ein Problem bei vielen Schwimmern. Sie müssen das Training lieben, es muss für sie eine Leidenschaft sein und sie müssen erfolgreich sein wollen", meint Lucas, der zudem sagt, dass Athleten auch die Fähigkeit haben sollten, ihr Können am Wettkampftag - oder wie er es ausdrückt, am "D-Day" - abrufen zu können.
Dass er derzeit mit einigen Ausnahmen wie der Freiwasser-Weltmeisterin Aurelie Muller oder Lara Grangeon nur wenige einheimische Athleten trainiert, führt er auch darauf zurück, dass es gerade nicht viele Schwimmer von internationalem Kaliber in seinem Land gäbe. "Wir haben (im Becken) eigentlich nur zwei Elite-Schwimmer. Das sind Charlotte Bonnet und Mehdy Metella. Dann gibt es nichts mehr. Wir sind so schwach auf den langen Strecken, den 800m, 1500m und sogar in den 4x100m Lagen... Das ist alles Schei*e. Wir sind so schwach."
Es sind deutliche Worte wie diese, mit denen sich Lucas, der als Entdecker von Laure Manaudou gilt und sie 2004 zum Olympiasieg führte, nicht nur Freunde in Frankreich macht. Von seinen Athleten hört man jedoch nur selten Beschwerden trotz seines Rufes, ein harter Hund zu sein. "Das ist nur ein Image, das mir gegeben wurde. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Schwimmern. Ich bin ihnen nahe und rede viel mit ihnen, damit sie verstehen, dass es nichts bringt, einfach nur Stunden, Tage oder Jahre zu trainieren und dann kommt nichts dabei heraus." Es sei besser, tatsächlich hart zu arbeiten und dann auch die erhofften Resultate zu erhalten. Athleten, die das könnten, würden lange bei ihm bleiben, meint Lucas. "Die bleiben Jahre. Nicht nur, weil die Resultate stimmen, sondern weil sie gut mit mir klar kommen. Okay, ich habe das Image ein harter Coach zu sein, aber das bin ich eigentlich nicht." Training sei halt Training - da gilt was der Coach sagt. "Aber abseits des Pools, da bin ich cool", meint Lucas, der bei seiner alten Arbeitsstelle in Narbonne ein Gehalt von 150.000 Euro pro Jahr erhalten haben soll, seine Trainigsbasis aber nach den Olympischen Spielen 2016 nach Montpellier verlegte.
Damals hatte mit Sharon van Rouwendaal gerade eine seiner Athletinnen den Olympiasieg über die 10km im Freiwasser geholt. Für Lucas eine Bestätigung seiner Arbeit und auch seiner Einstellung dem Gewinnen gegenüber. Da zeigt er sich kompromisslos. Was zählt, ist der Sieg. "Es ist zwar schön und gut, zu trainieren. Wenn du aber immer nur Achter, Sechster oder Fünfter wirst, dann musst du irgendwann aufhören. Das ist dann zwecklos. Dann verschwendet der Schwimmer seine Zeit - und meine. Wenn ich (den Athleten) also sage, dass wir hart arbeiten, dann ist das, um erfolgreich zu sein, um auf dem Podium zu sein, um zu gewinnen, bzw. es zumindest zu versuchen."
Obwohl nun die Spiele 2020 in Tokio näher rücken, blickt Lucas noch nicht allzu weit voraus. Vorher stehe erstmal die Qualifikation. "Ich höre Leute und sogar Trainer oft sagen 'Ich fliege nach Tokio' oder sogar 'nach Paris' - aber ich sag da eher: 'Nein, nein! Wir fliegen nur dort hin, wenn wir Schwimmer haben, die dort hin gehen'". Dennoch... Eine WM oder Olympischen Spielen ohne Philippe Lucas hat es lange nicht gegeben. Das Fehlen von Goldkette und Sonnenbrille am Beckenrand würde durchaus auffallen.