(31.08.2018) Der Ton im Netz wird rauer. Während früher eher Pseudo-Gangsterrapper ihre Battles auf virtuellem Weg im Netz austrugen, sind es mittlerweile Politiker in höchsten Ämtern, Wirtschaftsbosse aus dem Silicon Valley sowie Millionen Allesbesserwisser und Habichjaschonimmergesager, die mit ihren Tweets, Posts und Kommentaren im Internet kräftig Dampf ablassen. Auch Sportler bekommen beim kleinsten Misserfolg die volle Häme der Hater zu spüren.
Die australische Spitzenschwimmerin Cate Campbell will dabei nicht mehr einfach nur zuschauen. Mit emotionalen Worten wendet sie sich an die "Tasten-Krieger", wie sie die anonyme Kommentatorengemeinde nennt: "Ich glaube, wir haben noch nie direkt miteinander gesprochen. Ihr habt über mich geredet. Dann gab es von mir vielleicht einen kurzen Kommentar und dann ging es wieder von vorn los. Ich denke, wir müssen reden. Nicht von Angesicht zu Angesicht, denn lasst uns nicht vergessen: Ihr seid gesichtslos, während ich das nun gerade nicht bin. Aber ohne Vermittler dazwischen."
Und so legt Campbell los. Erinnert sich an die Olympischen Spiele 2016, bei denen sie über die 50 und 100m Freistil als große Favoritin an den Start ging und ohne Einzelmedaille blieb. Neben aufmunternden Worten schlugen ihr vor allem spöttische bis hin zu hassvollen Kommentaren entgegen. "Es war eine surreale Erfahrung, als ich aus Rio zurückkam. Ich war in der Rolle eine Vorbilds hin geflogen und kam mit einer gänzlich anderen Rolle zurück." Auf einmal sei sie "Australiens Vorzeige-Girl für das Scheitern" gewesen. "Dinge, die früher hinter unserem Rücken gesagt wurden, sind uns nun aufgedrückt als dauerhafter digitale Stempel im World Wide Web und noch schlimmer, sie sind in mit den selben schwarzen Texten in unser Herz geätzt."
Es hat ein wenig gedauert, doch Campbell ist mittlerweile zurück in der Weltspitze. Und stärker als je zuvor. Über die 100m Freistil stellte sie im vergangenen Herbst in 50,25 Sekunden einen neuen Weltrekord auf der Kurzbahn auf. In diesem Frühjahr wiederholte sie dieses Kunststück bei den Commonwealth Games als Teil der australischen 4x100m Freistilstaffel. Das Scheitern von Rio hat sie letztlich stärker werden lassen.
"Es (das Scheitern) wird als ein schmutziges Wort angesehen. Etwas, für das wir uns schämen sollten. Aber lasst mich euch eines sagen: Es braucht unglaublich viel Zeit, Anstrengungen, Durchhaltevermögen, Fleiß und vor allem Mut, um in einer Position zu sein, wo ein solches Scheitern überhaupt möglich ist. Denn es ist die gleiche Position, in der der Erfolg möglich ist. Anstatt Leute anzuprangern, sollten wir ihnen applaudieren zu ihrem Mut, etwas zu tun, zu dem wir selbst nicht mutig oder fähig genug sind."
Campbell fordert die Internetgemeinde daher auf, gütig zu sein und erst zu denken, bevor man schreibt. "Bevor ihr die Daumen locker macht (um loszutippen), solltet ihr euch fragen, ob ihr überhaupt qualifiziert genug dazu seid, die Kritik oder die Beleidigung loszulassen, die euch in den Fingerspitzen juckt." Stattdessen solle man sich fragen, was die Person, der man gerade zuschaut, geopfert und geleistet habe, um in dieser Position zu sein.
Bei allen mahnenden Worten vergisst die 26-Jährige auch die positiven Stimmen nicht, die ihr gerade in den schweren Zeiten eine wichtige Stütze waren und sind. Auch die anonyme Masse der Tasten-Krieger ist eben kein Einheitsbrei sondern ein vielschichtiger Spiegel der Gesellschaft. Damit man in diesem wieder seltener die hässlichen Fratzen des Hasses sieht, appelliert Campbell: "Ein wenig Höflichkeit kann viel bewirken, doch umgekehrt ist es genauso. Wollt ihr diese Welt nicht ein kleines bisschen besser machen? Und selbst, wenn er nur um 280 Zeichen besser wird."
Das komplette Statement von Cate Campbell gibt es HIER.