(24.10.2017) Teilnehmer aus Dutzenden Nationen, internationale Spitzenschwimmer, die es mit aufstrebenden Nachwuchsathleten aufnehmen, Finals im Scheinwerferlicht und eine Atmosphäre, die ihresgleichen sucht, machten das International Swim Meeting Berlin in den zurückliegenden Jahren zu einem festen Highlight im europäischen Schwimmkalender. Die Betonung liegt auf "machten" - Vergangenheitsform.
"Der Veranstalter sieht zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr, aus eigener Kraft die Organisation für 2018 abzusichern", heißt es nämlich heute auf der Website des ISM. Bis zuletzt hatten die Organisatoren auf eine Rettung ihres Events gehofft, doch das Ausbleiben verbindlicher Zusagen der handelnden Personen und Institutionen zwang sie nun dazu, zu beschließen: Wir als Verein können eine solche Großveranstaltung für 2018 innerhalb der noch verbleibenden Zeit allein nicht mehr stemmen.
Auslöser der Verwirrungen, die nun zu dieser Entscheidung führten, ist eine neue Vorgehensweise, die der Berliner Schwimmverband (BSV) zur Genehmigung von Wettkämpfen in der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE) einführen will, also jener Halle, in der sonst auch die Deutschen Meisterschaften oder der FINA-Weltcup stattfinden.
Seinen Anfang nahm dies alles bereits im Februar. In einer Sitzung mit dem Berliner Senat, in der neben dem BSV auch der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) vertreten durch Beate Ludewig sowie weitere Hallennutzer anwesend waren, wurde festgestellt, dass die SSE durch die Nutzung in den zurückliegenden Jahren starke Verschleißerscheinung aufweist und man daher die Belegung durch Wettkämpfe einschränken müsse. Seitens des Senats wurde ein Vergabeprozess mit konkreten Daten vorgeschlagen. So wolle man unter anderem bis September potentielle Nutzer der SSE darum bitten, ihre für das Folgejahr gewünschten Veranstaltungstermine zu benennen.
Beim BSV aber, der seine Mitglieder bei dieser für die Zukunft des Schwimmsports in der Hauptstadt durchaus wichtigen Sitzung beim Berliner Senat übrigens durch keinen der gewählten Funktionäre oder seinen Geschäftsführer vertreten ließ, sondern lediglich durch eine Büroangestellte, ersann man sich in der Zwischenzeit eine eigene Lösung: Ein neues Wettkampfkonzept wurde erarbeitet, laut dem nur noch fünf Vereinswettkämpfe pro Jahr in der SSE stattfinden dürfen.
Interessant ist dabei weniger die Anzahl der Wettkämpfe, sondern nach welchen Kriterien diese vergeben werden sollen. Nach dem neuen Konzept gibt der BSV nun sowohl den Termin als auch die Gestaltung (Strecken, Zielgruppe, usw.) der Wettkämpfe vor, für deren Ausrichtung sich die Vereine bewerben sollen, ähnlich wie man es sonst von Meisterschaften kennt. Die Ausschreibungen sollen mit den Vereinen nach der Bewerbung gemeinsam lediglich "verfeinert" werden. Das traditionelle Datum des ISM am ersten Märzwochendende ist nicht unter den vom BSV vorgegebene Terminen.
Entscheidend für den Zuschlag sind laut dem ursprünglichen Konzept die Anzahl der Mitglieder des Vereins, dessen Mitwirkung am Leistungssportkonzept des Verbandes sowie die Anzahl an Kampfrichtern, die er für Wettkämpfe stellt. Der Punkt der Mitgliedersumme wurde später wohl entfernt, ist aber indirekt durch die Kampfrichteranzahl durchaus noch von Bedeutung.
Die Tradition bereits bestehender Wettkämpfe oder auch der Umfang der Veranstaltungen spielen keine Rolle im Konzept. Im Gegenteil: Dass ausgerechnet in der größten Schwimmhalle Deutschlands Wettkämpfe mit großen Teilnehmerzahlen stattfinden, scheint den Verantwortlichen ein Dorn im Auge zu sein. So sei das Ziel des Konzepts: "Weg von Massenveranstaltungen, hin zu Qualität in den Wettkämpfen." Die neue "Qualität" der Wettkämpfe soll wohl vor allem durch die zu einem bestimmten Saisonzeitpunkt angebotenen Strecken geschaffen werden.
Dass es sich ein Wettkampf wie das ISM gezielt auf die Fahnen geschrieben hat, aufstrebende Nachwuchsschwimmer mit Spitzenathleten zusammenzubringen, sodass sie von diesen lernen können, spielt als Qualitätsmerkmal keine Rolle. Erst dieses Konzept hat über die Jahre dazu geführt, dass sich das ISM einer solchen Beliebtheit erfreute und nicht nur eben jene großen Teilnehmerzahlen anzog, sondern sich auch zum wohl "qualitativ" am besten besetzten Vereinsevent Deutschlands entwickelte. In den Rekordlisten des ISM finden sich neben deutschen Größen wie Britta Steffen auch etliche internationale Superstars wie die Olympiasieger Federica Pellegrini und Adam Peaty oder der ungarische Weltmeister Laszlo Cseh.
Für heutige Top-Schwimmerinnen wie die schwedischen WM-Finalistinnen Louise und Sophie Hansson war das ISM im Jugendalter einer der ersten großen internationalen Wettkämpfe. Und nicht nur für Nachwuchsathleten stellte das ISM stets ein Highlight dar. Auch die Schwimmer des Berliner Bundesstützpunktes scheinen die "Qualität" des Events geschätzt zu haben, denn sie nutzten stets die Gelegenheit, sich hier Jahr für Jahr mit der internationalen Konkurrenz zu messen.
Für die Vereine gibt der BSV also strenge Rahmenbedingungen für Veranstaltungen in der SSE vor. Über eine geplante Einschränkung der eigenen Verbandswettkämpfe ist hingegen nichts bekannt. Im zurückliegenden Jahr waren von den 23 Schwimm-Wettkämpfen, die in der SSE stattfanden, 15 Veranstaltungen Verbandswettkämpfe und nur acht Vereinsevents. Statt dass aber BSV und DSV, der die SSE gern für seine Meisterschaften nutzt, selbst schauen, wie man die eigenen Wettkämpfe begrenzen könnte, verleibt man sich nun auch indirekt die Vereinsveranstaltungen ein. Netter Nebeneffekt: Das finanzielle Risiko, das die Belegung der SSE durchaus mit sich bringt, tragen die Vereine.
Auch dem DSV dürfte das neue Berliner Konzept nicht ungelegen kommen. Nicht nur, dass die eigenen Großveranstaltungen wie die drei jährlichen Deutschen Meisterschaften (Lang- und Kurzbahn / Jahrgänge) und der Kurzbahn-Weltcup davon nicht betroffen sind. Man bekommt mit den German Open sogar noch ein fünftes Event in der SSE hinzu. Angesetzt sind diese laut der DSV-Wettkampfplanung bereits für Ende April 2018. Es ist einer jener "Vereins"wettkämpfe aus dem Berliner Konzept und beim DSV künftig fester Bestandteil der Qualifikationsmöglichkeiten seiner Top-Schwimmer für die Saisonhöhepunkte.
Es verwundert nicht, dass der DSV zu den Profiteuren dieser Pläne gehört. Präsentiert wurden die Ideen von Beate Ludewig, die sich bei jenem Senatstreffen im Februar als DSV-Vertreterin einbrachte. Die derzeitig noch als Jugend-Bundestrainerin beim DSV angestellte Ludewig stellte das Vorhaben bei einer Trainerratssitzung des Berliner Verbandes im April dieses Jahres erstmals vor. Entstanden ist es hinter verschlossenen Türen. Auf der Sitzung des Trainerrats wurde das Vorhaben bereits so dargelegt, als stehe es fest. Eine Abstimmung darüber erfolgte nicht. Ohnehin hat der Trainerrat im BSV nur eine beratende Funktion.
Einen Monat später, am 22. Mai, wurden die Pläne dann im Rahmen des zuständigen Fachausschusses des BSV, in dem wiederum mehrere Vertreter des Trainerrates sitzen, erläutert. Man schien sich bewusst gewesen zu sein, dass dies nur eine Formalie ist. Als Bewerbungsschluss auf einen der festgelegten Wettkampftermine wurde bei der Trainersitzung bereits der 18. Mai 2017 genannt. Dies war vier Tage bevor der Fachausschuss dazu überhaupt offizielle Aussagen machen konnte.
Bei der Fachausschusssitzung selbst wiederum wurde dann doch ein späterer Termin für mögliche Bewerbungen genannt. Dies und der Umstand, dass der zuständige Fachwart Thomas Beyer beim Termin im Mai über die Vergabekriterien ausdrücklich "nicht diskutieren" wollte, sondern dies individuell mit den Vereinen geschehen sollte, ist ein Zeichen der mangelnden Transparenz der Vorgänge.
Was der Berliner Schwimmverband bei alledem anscheinend vergessen hatte: Er hat bei der Vergabe der SSE gar nicht die finale Entscheidungsgewalt, sondern diese liegt beim Berliner Senat. Dies geht auch aus dem Protokoll des gemeinsamen Treffens aus dem Februar hervor. Vereinbart wurde hier, dass nach der Benennung der Terminwünsche bis spätestens zum 15. Oktober alle potentiellen Nutzer der Schwimmhalle ihre Anträge für mögliche Veranstaltungen in der SSE für das Jahr 2018 beim Senat einreichen sollten. Wie dies zu geschehen habe, darüber ließ der Berliner Schwimmverband seine Vereine im Unklaren und hat ihnen so zum Beispiel das entsprechende Antragsformular nicht zukommen lassen.
Eine umfangreiche Anfrage zu den Vorgängen, die swimsportnews bereits im Zuge der Trainerratssitzung vor einem halben Jahr an den Berliner Verband übersandt hat, blieb weitgehend unbeantwortet. Erst nach mehrfacher telefonischer Nachfrage kam lapidar der Hinweis auf die Fachausschusssitzung im Mai. Deren Protokoll wolle man uns zusenden, sobald es vorläge. Geschehen ist dies nie. Auch weitere Kontaktversuche verliefen im Sande.
Um Publicity scheint man sich beim BSV keine Sorgen zu machen. Immerhin tat Fachwart Thomas Beyer bei der Fachausschusssitzung im Mai kund, die Außenwirkung Berlins sähe man "nicht durch Veranstaltungen sondern erfolgreiche Sportler gegeben". Ein Wettkampf wie das ISM, das in seiner Geschichte mehr als 1000 Teams aus über 50 Nationen anzog, erzeugt keine Außenwirkung? Zumindest beim Berliner Senat scheint man dies anders zu sehen. Im Gegensatz zum Beispiel zum öffentlich bezuschussten Weltcup-Meeting spült das ISM dank der zahlreichen Gäste auch ordentliche Steuereinnahmen in die Stadtkasse und sorgt somit für eine positive Stadtrendite. In diesem Jahr fand das Event sogar die fördernde Unterstützung durch den Senat.
Nachdem dieser von den Vorgängen innerhalb des Schwimmverbandes erfuhr, wurde Ende September ein runder Tisch mit allen Beteiligten angesetzt. Selbst ein neutraler Vermittler wurde hier mit einbezogen. Beate Ludewig trat diesmal nicht nur als DSV- sondern auch als BSV-Vertreterin in Erscheinung, da sie für beide Verbände eine Richtlinienkompetenz interpretierte. Bei dem Treffen wurde deutlich, dass seitens des Senats durchaus Interesse an einem Wettkampf wie dem ISM besteht. Dem wolle man keine Steine in den Weg legen. Wichtig für den anvisierten ISM-Termin Anfang März 2018 sei es jedoch unter anderem, dass man sich mit dem Landesleistungszentrum, dessen Athleten am Wochenende in der SSE trainieren, abstimmt, hieß es damals.
Das Problem: Bis zum heutigen Tag hat sich kein Ansprechpartner des Landesleistungszentrums (LLZ) finden lassen, der dies entscheiden kann. Auch seitens des Landessportbundes, dem das LLZ untersteht und an den sich die ISM-Organisatoren bereits wandten, herrscht auch nach mehreren Wochen Funkstille.
Unterstützung seitens des Deutschen Schwimm-Verbandes kam ebenfalls nicht. Anfragen des Senats, das ISM für 2018 noch beim Weltverband FINA genehmigen zu lassen, blieben bis zum aktuellen Zeitpunkt unbeantwortet. Nur mit dieser Genehmigung gelten die von den Sportlern erzielten Zeiten eines Wettkampfes als möglicher Qualifikationsnachweis für internationale Events wie Welt- und Europameisterschaften. Durchaus wichtig, wenn man auch Nationalschwimmer vor Ort hat. Normalerweise muss der Antrag darauf bereits sechs Monate vor dem Event bei der FINA durch den nationalen Verband eingereicht werden. Auch dies ist einer der Gründe, warum die Organisatoren des Wettkampfes nun für sich die Reißleine ziehen musste.
Um mit den Planungen voranschreiten zu können, wäre eine feste Terminzusage notwendig gewesen. In der aktuellen Situation kann das ISM-Team, das unter anderem aus mehr als 150 ehrenamtlichen Helfern besteht, das finanzielle Risiko, das mit weiteren Planungsschritten verbunden wäre, allein nicht verantworten. Schon jetzt lagen für das ISM 2018 Anfragen von zahlreichen Vereinen aus mehr als einem Dutzend Nationen vor. Auch Teams wie die Nationalmannschaften der Türkei wären gern beim Meeting in Berlin gestartet. Der Schwimmbezirk Nordwestfalen richtet sogar seine eigenen Meisterschaftstermine nach dem ISM-Zeitpunkt aus und auch bei den internationalen Teilnehmern ist das ISM fester Bestandteil des Jahreskalenders. Die Bedeutung des Wettkampfes geht also weit über Berlin hinaus.
In der Bundeshauptstadt aber wird bereits seit mehreren Jahren hinter den Kulissen versucht, das ISM zu schwächen. Aus Verbandskreisen war immer wieder Kritik an der "hohen" Teilnehmerzahl von mehreren hundert bis über 1000 Schwimmern in der mit 2400 Sitzplätzen ausgestatteten Schwimmarena SSE sowie an der internationalen Ausrichtung des Wettkampfes (für "irgendwelche Ausländer") zu hören.
Dass die Sache nun aber ausgerechnet in diesem Jahr an Fahrt aufnahm, könnte mit den im kommenden Frühjahr anstehenden Wahlen zum Präsidium des Berliner Verbandes zusammenhängen, wie aus Insiderkreisen zu erfahren war. Vereine mit vielen Mitgliedern bringen hier auch viele Stimmen mit, es lohnt sich also, diese zu umwerben. Schon eine Handvoll dieser Großvereine kann hier entscheidende Mehrheiten zustande bringen. Da jene Clubs auch viele Schwimmer in das Leistungssportkonzept des Verbandes entsenden und mehr Kampfrichter stellen können als kleinere Vereine, sind die Großvereine auch beim Vergabekonzept für Wettkämpfe in der SSE direkt im Vorteil.
Anfang Dezember 2017 findet so zum Beispiel erstmals das Internationale Schwimmfest der SG Neukölln in der SSE statt. Diese ist mit 4700 Club-Angehörigen der mitgliedsstärkste Verein Berlins und allein schon fast sieben Mal so groß wie der SSC Berlin-Reinickendorf, der das ISM veranstaltet. Als Ausrichter der German Open im April 2018 wird der Berliner TSC gehandelt, ebenfalls ein Schwergewicht in der Bundeshauptstadt und zudem wiederum der Verein von Beate Ludewig, deren Vertrag als Jugend-Bundestrainerin im kommenden Jahr fast parallel zur Präsidiumswahl im BSV ausläuft.
Da wird es schwer für die kleineren der insgesamt 70 Berliner Schwimmclubs, sich durchzusetzen. Neben dem SSC Berlin-Reinickendorf sind auch andere Vereine betroffen, die bisher in der SSE Wettkämpfe mit internationalem Teilnehmerfeld ausrichteten, wie zum Beispiel der SV Berolina, die SG Berliner Wasserratten oder auch die SG Steglitz. Mit dem Wegfall ihrer Wettkämpfe würden Berlins Schwimmer vor allem im Bereich des Nachwuchsfördersports um zehntausende Starts pro Jahr gebracht.
Der Veranstalter des vor wenigen Wochen ausgetragenen Kurzbahn-Meetings "International Swim Cup", die SG Schöneberg, mussten ebenfalls lange bangen, ob man das Event in gewohnter Form in der SSE ausrichten darf und letztlich hatte der Verein vor allem das Glück auf seiner Seite. Wie es aber mit dem Wettkampf im Jahr 2018 weitergeht, ist vollkommen unklar.
Was diese Entwicklungen für die weitere Zukunft des ISM bedeuten, ließen die Organisatoren noch offen. Sollte der Wettkampf, der bei einer Umfrage unter mehr als 4.000 Schwimmfans vor zwei Jahren zum beliebtesten Schwimm-Event Deutschlands gewählt wurde, 2018 tatsächlich nicht stattfinden, heißt das nicht, dass es 2019 kein Comeback geben kann. Ein endgültiges Aus des International Swim Meetings aber dürfte langfristig weder dem Berliner noch dem Deutschen Schwimm-Verband helfen, sondern die Schwimmlandschaft hierzulande nur schlicht um ein weiteres aufopferungsvoll organisiertes Event ärmer machen.
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Hinweis in eigener Sache: swimsportnews und swimsportMagazine sind seit zwei Jahren Medienpartner des ISM Berlin und als solcher unter anderem mit einem Werbestand direkt bei der Veranstaltung vor Ort.