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Bild: Alibek Käsler
31. Juli 2017

(31.07.2017) Franziska Hentke muss das Ganze erstmal sacken lassen. "Ich glaube erst, wenn ich hier weg bin, kann ich realisieren, wie geil diese WM eigentlich war", meint sie auch noch wenige Tage, nachdem sie in Budapest Vize-Weltmeisterin über die 200m Schmetterling wurde. Auch für sie selbst war es eine Überraschung. "Ich habe eigentlich erst im Januar wieder richtig angefangen zu trainieren. Vielleicht war auch die Lockerheit, mit der ich in die Saison gegangen bin, ein Teil des Erfolges."

Lange haben sie und ihr Coach Bernd Berkhahn auf diesen Erfolg hingearbeitet. Als er sie vor fast fünf Jahren übernahm, hatte Henkte in der Vorsaison die Qualifikation zu den Olympischen Spielen knapp verpasst. Und das bereits zum zweiten Mal. Sogar Überlegungen, das mit dem Schwimmen ganz sein zu lassen, stellte die damals 23-Jährige an. 

Bernd Berkhahn kam da vielleicht genau zum richtigen Zeitpunkt. Mit dem neuen Coach wurden auch neue Wege beschritten, ohne die bereits funktionierenden Methoden wie das Höhentraining über Bord zu werfen. "Sie kam gerade von einem langen Bundeswehrlehrgang und war quasi untrainiert", meint Bernd Berkhahn zurückblickend. "Da konnten wir frisch anfangen." Mehr Grundlagenausdauer, andere Trainingsinhalte, indem man den Blick auch mal Weg von den 200m Schmetterling hin zu den Lagen- oder Freistilstrecken richtete, brachten die wichtigen neuen Reize. "Auch an der Athletik und Kraft haben wir gearbeitet und einfach sukzessive aufgebaut."

Ein weiterer wichtiger Faktor kam für Franziska Hentke mit den Jahren hinzu: Erfahrung. Leider nicht nur positive. Bei den Weltmeisterschaften 2015 war sie wie auch in Budapest als Weltjahresbeste angereist. Am Ende musste sie sich mit einem undankbaren vierten Platz zufrieden geben. Noch enttäuschender lief es in Rio: Bei den Olympischen Spielen 2016 schied Hentke, die als eine der wenigen deutschen Medaillenhoffnungen galt, als Elfte im Halbfinale aus.

"Ich bin damals in meinem Rennen hinten raus eingebrochen", erinnert sie sich. "Das ist eben die große Gefahr, wenn man über die 200m Schmetterling am Ende zu früh anzieht", weiß auch Bernd Berkhahn. Bis man auf dieser anspruchsvollen Strecke die perfekte Renneinteilung verinnerlicht hat und genau weiß, wie man sich die Kraft einteilen muss, dauert es eben.

"Wenn man schaut, wer über die 200m Schmetterling vorn dabei ist: Das sind über die vergangenen Jahre hinweg eigentlich die gleichen Gesichter", erklärt Franziska Hentke mit Blick auf ihre Konkurrentinnen. In Budapest musste sie nur der Spanierin Mireia Belmonte den Vortritt lassen. Beide kennen sich lange, wissen genau, wie die andere schwimmt. Hentke hat sich sogar ihre Renneinteilung ein wenig von der Olympiasiegerin abgeschaut. Belmonte ist schon eine ganze Weile in der Weltspitze dabei, doch ihr erstes Langbahngold gegen die globale Konkurrenz über die 200m Schmetterling holte sie "erst" 2016 in Rio, bei ihren dritten Spielen.

Bei Olympia 2016 gelang der Spanierin eben dieses "perfekte Rennen". In 2:04,85 Minuten kam sie endlich einmal wieder an ihre persönliche Bestzeit heran, die schon seit 2013 bei 2:04,78 Minuten steht. Über die 200m Schmetterling liefert man solche Ausnahmeleistungen nicht mal nebenbei am Fließband ab. 

Auch die Dritte auf dem WM-Podium, Katinka Hosszu, stößt trotz ihres fortgeschrittenen Karrierezeitpunkts in immer neue Sphären vor. Im Schmetterlingfinale holte sie in 2:06,02 Minuten die Bronzemedaille. Ihre schnellste Zeit seit Ende der Ära der Hightech-Anzüge. "Wer die Mädels nach dem Rennen gesehen hat: Die waren alle überrascht, was sie eigentlich drauf haben, weil sie es vorher einfach nicht genau einschätzen konnten", so Bernd Berkhahn. 

Er weiß, wie schwer es ist, schnelle Zeiten über die 200m Schmetterling zu "produzieren". Bei anderen Schwimmarten könne man immer wieder die 200 Rücken oder Kraul im Training machen, erläutert der erfahrene Coach, dessen Schützlinge bei der WM 2017 in vier von fünf Finals mit deutscher Beteiligung standen. "Bei Schmetterling aber ist das zu belastend. Deswegen haben wir unseren Weg gefunden, wie wir uns da im Training heranarbeiten."

Der Termin der Deutschen Meisterschaften, fünf Wochen vor dem Saisonhöhepunkt, und die harten Normen stellten ihn und seinen Schützling nun vor eine weitere Herausforderung. Die Qualifikationszeiten in diesem Jahr waren so hart wie nie zuvor. Doch Franziska Hentke hat sich in den vergangenen Jahren ein Grundniveau erarbeitet, durch das sie die geforderte Zeit von 2:09,12 Minuten souverän drauf hat. Laut Coach Berkhahn haben beide die WM-Qualifikation zwar im Grunde voll vorbereitet. "Aber sie war dort muskulär noch richtig müde, sodass wir für uns beide wussten: Da ist noch eine Reserve."

Eine Reserve, die sie im Finale noch nicht einmal vollends ausnutze. "Sie hätte sogar noch schneller sein können", so die Einschätzung von Berkhahn zum Endlauf, in dem Hentke auf der letzten Bahn beinahe noch ihre Konkurrentin Belmonte abgefangen hätte. "Sie hätte den Sprint eher ansetzen und sich mehr zutrauen können. Aber das genau einzuschätzen ist eine wahre Kunst. Man will ja hintern raus auch nicht sterben."

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass Hentke und Berkhahn wissen: Da ist noch Luft nach oben. Ihr Weg ist mit der Silbermedaille von Budapest schließlich noch lange nicht zu Ende. "Das Ergebnis hier, also ob sie jetzt Zweite, Dritte oder Vierte wird, hätte mit Blick auf die Zukunft nichts geändert", erklärt Berkhahn. Denn das Ziel ist klar: Olympia 2020.  "Es ist schön, dass sie hier neue Erfahrungen und Eindrücke gewonnen hat. Aber wir haben unseren Plan bis Tokio und dem folgen wir nun Stück für Stück."