(06.07.2017) Mit seinem Deutschen Rekord und neuer Weltjahresbestzeit über die 200m Lagen sorgte Philip Heintz bei der Schwimm-DM im vergangenen Monat für einen echten Kracher. Wer den Heidelberger in den vergangenen Jahren beobachtet hat, dürfte wenig überrascht sein. Stück für Stück rückte er näher heran an die Weltspitze und nun ist er mitten drin im Kreis der internationalen Top-Athleten. Der Weg dorthin führte Philip Heintz immer wieder nach Spanien. Regelmäßig zieht er in der Sierra Nevada auf 2.300m über dem Meeresspiegel seine Trainingsbahnen.
Heintz ist Mitglied im Höhenprojekt des Deutschen Schwimm-Verbandes. "Das hieß im gerade zu Ende gegangenen Olympiazyklus, dass wir mit einer bestimmten Gruppe von Schwimmern dreimal pro Jahr für jeweils drei Wochen in die Sierra Nevada geflogen sind, um dort im Trainingslager die Vorteile der Höhenlage zu nutzen", erklärt uns Dr. Michael Spikermann, der in den zurückliegenden Jahren das Höhenprojekt federführend betreute, unter anderem gemeinsam mit den Experten des Instituts für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig.
Neu ist die Idee, Sportler in der dünnen, sauerstoffärmeren Höhenluft trainieren zu lassen, zwar nicht. Schon seit über 40 Jahren wird diese Methode genutzt. Der Grundgedanke dahinter: Der Körper reagiert auf den Sauerstoffmangel mit einer stärkeren Produktion roter Blutkörperchen, die für den Transport von Sauerstoff zu den Zellen verantwortlich sind. Dadurch wird langfristig die Kapazität von Sauerstoffaufnahme und -transport des Blutes erhöht. Die Muskeln können also besser damit versorgt werden.
Doch gerade im Schwimmsport zeigen sich neben den weithin bekannten Vorteilen noch zusätzliche positive Effekte des Trainings in Höhenlagen. So kann das Training bei den Athleten zu einer Optimierung der Stoffwechselprozesse und Muskelphysiologie führen. "Es hat auch einen Einfluss auf die Atemmotorik, die Ausschüttung körpereigener Hormone und, was man bei Schwimmern nicht unterschätzen sollte, durch die deutlich weniger belastete Luft in der Höhe haben auch Asthmatiker weniger Probleme", fasst Spikermann die Vorteile zusammen.
International sind Höhentrainingslager fester Bestandteil bei vielen Spitzenschwimmern. Michael Phelps zog es in den USA regelmäßig in die Bergluft, zeitweise schlief er sogar in einer Höhenkammmer, und aktuelle Stars wie die spanische Olympiasiegerin Mireia Belmonte oder der japanische Superstar Kosuke Hagino fliegen ebenfalls immer wieder für Trainingslager in die Sierra Nevada.
Auch im deutschen Schwimmsport spielt das Thema schon lange eine wichtige Rolle. "Das Höhentraining ist im Grunde ein Erbgut des DDR-Sports, wo dies eine hohe Bedeutung hatte. Vieles in der Methodik beruht auf den damals gewonnenen Erkenntnissen", erläutert der Heidelberger Spikermann. "Das wurde dann stetig weiterentwickelt. Das, was wir momentan machen, ist mehr oder weniger das Gedankengut von Norbert Warnatzsch und Frank Embacher. Die haben das inhaltlich maßgeblich gestaltet. Ich bin 2011 mit meinen Athleten dazugestoßen und habe dies dann in den vergangenen sechs Jahren konsequent weitergeführt."
Zwar stellen sich nicht bei jedem Athleten durch Höhenmaßnahmen direkt positive Effekte ein. Die Erfolge derer, bei denen es funktioniert, sprechen allerdings für sich. Nicht nur waren mit Paul Biedermann und Britta Steffen die beiden DSV-Aushängeschilder des zurückliegenden Jahrzehnts regelmäßig in der Sierra Nevada zu Gast. Bei den Deutschen Meisterschaften 2017 wurde die Hälfte der Titel in den Einzelrennen von Sportlern gewonnen, die das Trainingsmittel "Höhe" in der Vorbereitung eingesetzt haben.
Auch das aktuelle WM-Team besteht zu einem großen Teil aus Athleten, die immer wieder Höhentrainingslager in ihre Saisonplanung integrieren. Von den sieben Athleten, die bei den Deutschen Meisterschaften die harten WM-Normen knacken konnten, setzen vier Schwimmer fest auf die Methode des Höhentrainings. Neben Philip Heintz sind dies die Magdeburger Franziska Hentke und Florian Wellbrock sowie Celine Rieder, die allesamt dem DSV-Projekt angehören.
Hinzu kommen der Hallenser Marek Ulrich und Philip Heintz' Trainingskollege Clemens Rapp, die sich für die Staffeln qualifizieren konnten, sowie die Freiwasserschwimmer Finnia Wunram und Rob Muffels, die ebenso wie ihre Beckenkollegen in Magdeburg bei bei Bernd Berkhahn trainieren.
Bis zu den Weltmeisterschaften müssen die "Höhensportler" nun im Flachland bleiben. Die knappe Zeit von fünf Wochen zwischen Deutschen Meisterschaften und WM reicht nicht aus, um noch einmal ein Vorbereitungstrainingslager in der Sierra Nevada einzuschieben. Wie es dann nach der Schwimm-WM mit dem Höhenprojekt weitergeht, ist noch offen. Derzeit entscheiden der Deutsche Schwimm-Verband und die Geldgeber von DOSB und Innenministerium, für welche Themen die Fördermittel im neuen Olympiazyklus verwendet werden sollen. Angesichts der finanziellen Einschnitte, mit denen der DSV rechnen muss, bleibt abzuwarten, wie sich dies auf das "Erfolgrezept" Höhentrainingslager auswirken wird.
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Die Athleten des DSV-Höhenprojekts:
Johannes Hintze, Josha Salchow, Wassili Kuhn (alle Potsdam), Franziska Hentke, Florian Wellbrock, Finnia Wunram, Rob Muffels (alle Magdeburg), Celine Rieder (Saarbrücken), Philip Heintz, Sarah Köhler (beide Heidelberg)