Videotipp
22. März 2017

(22.03.2017) „Wer wird denn für 700 Euro im Monat Vollprofi? Davon kannst du nicht mal Miete und Essen zahlen.“ Die harte Kritik, die der Rio-Finalist Philip Heintz nach den Olympischen Spielen 2016 am deutschen Sportfördersystem übte, sorgte für Schlagzeilen. Nicht erst seit Rio wird viel darüber diskutiert, wie Schwimmer hierzulande neben dem Sport ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Getan hat sich bisher selten etwas. Im beschaulichen Neckarsulm im Norden Baden-Württembergs will man nun einen neuen Weg, unabhängig von öffentlichen Zuwendungen, beschreiten.

„Für Schwimmer ist es nicht einfach, nach dem Ende der Schulzeit das Leben als Fulltime-Sportler zu finanzieren“, weiß Christian Hirschmann, der nicht nur Trainer bei der Neckarsulmer Sportunion sondern auch Geschäftsführer mehrerer erfolgreicher Unternehmen ist. Sein Plan: „Wir wollen ab 2020 drei bis vier Sportlern ein Art Voll-Sponsoring bieten. Diese sind dann fest in einem unserer Unternehmen angestellt, erhalten aber eine 100-prozentige Freistellung, damit sie sich voll auf den Sport konzentrieren können.“ Ein ähnliches Prinzip kennt man bereits von den Sportfördergruppen bei der Bundeswehr und Bundespolizei. Doch im privaten Sektor betritt man Neuland mit einer solchen Initiative in diesem Umfang.

Wesentlichen Anteil an der Entwicklung dieses Projekts hatte Staffel-Europameister Clemens Rapp. Bereits seit mehreren Jahren wird er von Hirschmann unterstützt. „Das hat er mit einer tollen sportlichen Entwicklung zurückgezahlt und auch mit der Weitergestaltung gemeinsamer Ideen“, so Hirschmann gegenüber swimsportnews. Im Frühjahr 2016 gab Rapp bekannt, zukünftig bei Wettkämpfen für die Neckarsulmer Sportunion an den Start zu gehen. Seitdem ist der mehrfache Deutsche Meister nicht nur das sportliche Aushängeschild des Vereins in dem wirtschaftsstarken 25.000-Einwohnerort, sondern auch eines der Zugpferde des ehrgeizigen Profiprojekts.

„Wir hatten uns zusammengesetzt und gesagt, dass es nach den Olympischen Spielen 2016 eine Art Neustart geben soll und wir gemeinsam versuchen in den kommenden vier Jahren hier ein professionelles Umfeld für den Leistungssport und die Nachwuchs-  und Jugendarbeit aufzubauen“, erzählt Christian Hirschmann, dessen Unternehmen unter anderem in den Bereichen Multimediaproduktion oder auch Digitalisierung für große Konzerne wie Daimler tätig sind.

2020 soll es richtig losgehen, aber schon jetzt wird in Neckarsulm an den Schrauben für die sportliche Zukunft gedreht. Dank junger Athleten wie dem mehrfachen Deutschen Jahrgangsmeister Daniel Pinneker oder dem kürzlich zum Team gestoßenen Felix Ziemann gelang den Neckarsulmern der Durchmarsch von der Landesliga in die 2. DMS-Bundesliga. „Es ist toll, was dort passiert“, bestätigt auch Staffel-Europameister Rapp. „Wenn man Leute hat, die sich für den Sport einsetzen, dann kann eben auch etwas vorangehen.“

Mit Speedo wurde ein engagierter Partner für die Ausstattung des Teams gewonnen und auch beim Nachwuchs tut sich einiges. In Neckarsulm gibt es zwar keine Sportschule. Trotzdem wurde ein Weg gefunden, wie die Schwimmer schon in jungen Jahren ähnlich wie an größeren Stützpunkten trainieren können. Das örtliche Albert-Schweitzer-Gymnasium ermöglicht es den Athleten über Individualvereinbarungen den Stundenplan so zu gestalten, dass mehrmals pro Woche auch morgens trainiert werden kann. Bei längeren Trainingslagern fällt die Schule nicht komplett aus, sondern zwei als Lehrer tätige Trainer können als Begleitung mitreisen.

„Das Ganze haben wir auch dem gesunden Sportgedanken, den es insgesamt in Neckarsulm gibt, zu verdanken“, meint Hirschmann. „Und bei dem, was nach der Schule passiert, starten wir jetzt gerade durch.“ Den Schwimmern soll auch eine berufliche Perspektive eröffnet und eine Ausbildung oder ein Studium ermöglicht werden. Wie wichtig dies ist, weiß auch Clemens Rapp aus eigener Erfahrung. Er selbst hat einen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen in der Tasche und beendet, wenn alles glatt geht, im Herbst sein Masterstudium.  In der nicht-sportlichen Berufswelt sorgen die Athleten-Biografien aber oft für Irritationen. „Wenn man dann eine Lücke im Lebenslauf hat, so wie bei mir, als ich mich 2011/12 voll auf die Olympischen Spiele in London vorbereitet habe, sehen das einige Geschäftsführer so, als hätte man sich einfach ein Jahr ein bisschen seinem Hobby gewidmet", erzählt Rapp.

Umso wertvoller sei es daher, wenn Unternehmen die Werte und Qualitäten, die Athleten durch ihre Erfahrungen im Leistungssport mitbringen, zu schätzen wissen. „Wenn Sportler sich nicht ständig um ihre berufliche Zukunft sorgen müssen, dann zeigt sich das vielleicht auch in den Leistungen“, so die Einschätzung von Christian Hirschmann. Der Weg in Richtung Profisport ist vorgezeichnet. Ob diese Idee aufgeht, werden wir in den kommenden Jahren sehen. An Ehrgeiz fehlt es dem Team aus Neckarsulm auf jeden Fall nicht.