(22.08.2016) Unsere Highlights der Olympischen Spiele 2016 haben wir für euch bereits festgehalten, aber natürlich glänzte nicht alles in Rio. Wir haben hier die für uns größten Enttäuschungen von Rio zusammengestellt und die Liste hätte durchaus noch länger sein können:
1. Vom Superstar zur Schande von Rio: Der peinliche Abgang von Ryan Lochte
Was für eine Story... Ryan Lochte und drei seiner Team-Kollgen sind fertig mit ihren Wettkämpfen, starten eine Partynacht und beenden sie mit einem handfesten Skandal: Die US-Schwimmer sollen mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt worden sein! Das erzählen sie... Tatsächlich wurden sie festgehalten, tatsächlich mussten sie Geld bezahlen - Allerdings dafür, dass sie zuvor rüpelnd und randalierend an einer Tankstelle ihrem Alkoholrausch freien Lauf gelassen hatten. Weil dem gestandene Superstar Lochte das vor seiner Mutter anscheinend etwas peinlich war, verdrehte er im Gespräch mit ihr die Tatsachen ein wenig und schon waren die US-Boys Opfer der kriminellen Gangs in Rio. Doof nur, dass die Mama einen guten Draht zum Nachrichtensender FOX hat, denn als Lochte am nächsten Tag aufwachte, wurde schon in allen Medien über den vermeintlichen Überfall berichtet. Die Aufnahmen der Überwachungskameras sprachen dann aber ein klares Bild: Kein Überfall, nur pöbelnde US-Schwimmer.
Das Ganze ist nicht nur peinlich. Lochte, 32 Jahre alt, sechsfacher Olympiasieger, nutzte damit schamlos die Vorurteile der einheimischen US-Öffentlichkeit zur Sicherheitslage in Rio aus und warf ein dunkles Licht auf die sieben Millionen Einwohner der Stadt. Im Vergleich zu seinen jungen Teamkollegen ist er hier besonders verantwortlich, deswegen ist er wohl die größte Enttäuschung von Olympia 2016.
Die Story von Lochte und seinen Team-Kollegen hat auch eine andere Seite: Die vier feierten nicht in einer Bar oder einem Club, sondern dem französischen Haus. Die Heimstätten der nationalen Komitees sind fester Teil von Olympia und Abend für Abend werden hier die Medaillengewinner des eigenen Landes gefeiert. Dabei gibt es hinter den Kulissen fast schon einen Wettbewerb, welches Haus die größte Partybude ist und man will sich mit den Siegern schmücken. Alkohol fließt natürlich reichlich und ist auch kostenlos.
Daran ist ja erstmal nichts verwerflich. Wer Spitzenleistungen bringt, soll diese auch feiern, gern auch kräftig. Wenn sich dann aber die Verantwortlichen der Komitees, die die "Olympia-Botschaften" in Rio betreiben, oder auch Funktionäre und Beobachter hinstellen und Athleten, die es im Transportchaos von Rio mal eine Stunde zu spät ins Olympiadorf zurück schaffen, maßregeln wollen, wie es in Rio mehrfach geschehen ist bzw. angedroht wurde, dann ist das wiederum doch etwas scheinheilig. Für den bald Mitt-Dreißiger Ryan Lochte darf dies aber keine Entschuldigung sein.
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2. Verpuffte Kampfansagen - Australien lässt das US-Team davonziehen
Die sportliche Enttäuschung der Olympischen Spiele 2016 landete am Ende zwar auf Platz zwei im Schwimm-Medaillenspiegel. Doch in Australien hatte man sich deutlich mehr von Rio erhofft. Mit zehn Medaillen gab's nichtmal ein Drittel der Ausbeute vom großen Konkurrenten USA. Eigentlich wollte man den Abstand deutlich verkürzen, das hatte man zumindest angekündigt.
Am Ende standen "nur" drei Olympiasieger zu Buche. Mack Horton war über die 400m Freistil nicht zu schlagen, die Sprinterinnen holten Gold über die 4x100m Freistil und Youngster Kyle Chalmers sprang über die 100m Freistil für seinen unter den Möglichkeiten bleibenden Team-Kollegen Cameron McEvoy in die Bresche. Aber an die USA konnte man nicht entscheidend herankommen.
Dabei schien man vor Rio auf Augenhöhe zu sein - zumindest auf dem Papier. Über fast alle Strecken hatte man heiße Eisen im Feuer und auch die Staffeln hätten den US-Athleten Parolie bieten können, doch abgesehen von den 4x100m Freistil der Damen schöpften die Quartette ihr Potential nicht aus. Im Einzel gingen die Weltmeister- und Weltrekordschwestern Cate und Bronte Campbell über die Sprintstrecken komplett leer aus und das WM-Sieger-Pärchen Emily Seebohm/Mitch Larkin holte lediglich eine von vier angepeilten Einzelmedaillen. Am Ende gab es zehn Podestplätze. Genauso viele wie bei den Spielen in London 2012, nach denen eigentlich der große Aufschwung kommen sollte.
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3. Die Champions von London finden in Rio ihre Meister
Das ist schon erstaunlich: Nur zwei Olympiasieger von London konnten über die Einzelstrecken in Rio ihre Titel verteidigen und wer sollte dies anderes sein, als die Überschwimmer Michael Phelps (200m Lagen) und Katie Ledecky (800m Freistil). Alle anderen Champions der Spiele vor vier Jahren gingen in Rio leer aus.
Ob es Sprinterin Ranomi Kromowidjojo war, die sich im Aquatics Center der jungen Konkurrenz geschlagen geben musste, oder US-Star Missy Franklin, die in London noch beide Rückenstrecken für sich entschieden hatte und derzeit ihrer Form hinterherschwimmt - In Rio regierten andere Namen. Zugegeben, über einige Strecken waren die Titelverteidiger gar nicht am Start. Aber in 20 von 32 Einzelevents hatten sie die Chance, erneut zu glänzen. Dass es nur jedem zehnten von ihnen gelang, zeigt, dass mal wieder eine neue Generation von Schwimm-Assen dabei ist, das Ruder an sich zu reißen.
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4. Experten ohne Expertenwissen. Erst googlen, dann schreiben
Olympia ist für die Schwimmer der Höhepunkt schlechthin und auch das Interesse der Öffentlichkeit richtet sich ausnahmsweise einmal für acht Tage intensiv auf sie. Wie die Ereignisse von Rio aber in einigen Berichterstattungen rüberkamen, sorgte bei unserem Team, das ja selbst live vor Ort war, doch für manches Erstaunen.
Das soll keine Kollegenschelte sein, hier geht es nicht darum, dass es bei den geschwommenen Zeiten mal einen Zahlendreher gibt oder ein Athlet mit falschem Vornamen genannt wird. Das sind Fehler, die nicht schön sind, aber uns ebenso des Öfteren passieren, wie es halt vorkommt, wenn man nachts um 3 Uhr Ortszeit im Pressezentrum die Berichte für die gerade aufstehende deutsche Bevölkerung fertig macht.
Fatal ist es aber, wenn Leistungen aus dem Zusammenhang gerissen werden und man Wertungen abgibt ohne Hintergründe oder gar die Sportler selbst zu kennen. Die deutschen Schwimmer sind derzeit eben nicht - bzw. nur in Ausnahmefällen - Weltklasse. Dass dann bereits nach dem ersten Wettkampftag, bei dem viel Pech dabei war, das erneute "Versagen" des DSV-Teams herbeigeschrieben wurde, war nicht gerade hilfreich für die Athleten, die - man mag es kaum glauben - recht genau wissen, was daheim über sie berichtet wird.
Auch in den Rückblicken nun beispielsweise Szenen von Athleten wie Damian Wierling oder Johannes Hintze einzublenden, wenn über das negative Abschneiden berichtet wird, passt nicht zum Gesamtbild. Ja, Hintze verfehlte deutlich seine Bestzeit - aber hey: Der Junge ist 17 Jahre alt und hatte gerade seinen ersten Start bei Olympia absolviert, war hier trotzdem noch der schnellste Junioren-Athlet über die 400m Lagen. Und Wierling gehörte zu denjenigen, die sogar mit Bestzeiten nach Hause fliegen.
Es gibt viele Baustellen für das DSV-Team und in Rio hat vieles nicht geklappt, wie erhofft. Aber auch mancher Beobachter muss noch einiges an Hausaufgaben erledigen. Dies betrifft auch die Einordnung der internationalen Ergebnisse. Da ist zum Beispiel ein Staffel-Weltrekord der Australierinnen über die 4x100m Freistil beim Blick auf das Aufgebot nämlich alles andere als "überraschend". Manchmal hilft es, einfach ein wenig sachlicher zu bleiben.
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5. Verschlafene Europäer überlassen den USA das Feld
Die deutsche Mannschaft war nicht das einzige europäische Team, dass in Rio hinter den Erwartungen zurückblieb. Bei den sonst starken Niederländern hübschten die Freiwasserschwimmer mit Doppel-Gold das Ergebnis auf, aber die Beckenschwimmer gingen leer aus. Auch Dänemark, Frankreich, Italien, Schweden, Spanien oder selbst Ungarn waren im Medaillenspiegel vor allem durch Einzelkönner vertreten.
Die Gründe sind zum Teil sehr unterschiedlich. Aber vielen Athleten der genannten Länder war in Rio anzumerken, dass sie schlichtweg kraftlos und ausgepowert wirkten. Im Vorfeld wurde viel über die ungünstigen Wettkampfzeiten mit Nachtfinals von 22 bis 0 Uhr gesprochen und die Teams waren zuversichtlich, hier Lösungen zu finden. Aber auch die trickreichsten UV-Brillen oder Tageslichtlampen können den Körper, wenn es darum geht sein Leistungsmaximum zu bringen, auf Dauer nicht austricksen.
Klar, die meisten Athleten sind international erfahren, kennen es, in anderen Zeitzonen bei Wettkämpfen zu schwimmen. Das Jetlag ist dabei eine Herausforderung, der man mit ausreichend früher Anreise entgegenwirken kann. Aber hier nun die doppelte Belastung mit den Nachtfinals draufzusetzen, grenzt mit Blick darauf, dass die Ursache allein die besseren Übertragungszeiten für das US-Amerikanischen TV-Publikum waren, schon an Wettkampfverzerrung. Irgendwie ging der Plan ja auch auf: Die Fans zwischen New York und Los Angeles durften mal wieder dominierende US-Schwimmer bejubeln.