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21. August 2016

(21.08.2016) Für einige ist Schwimmen ein Hobby, für andere das, womit sie die meiste Zeit des Tages verbringen - für Anthony Ervin aber war die Liebe zum Sport die Rettung vor Depression, Drogen und Suizidgedanken. Genauer gesagt, die Wiederentdeckung dieser Liebe. In Rio führte sie ihn zu zwei Goldmedaillen.

Als 19-Jähriger hatte sich der US-Schwimmer bei den Spielen in Sydney gemeinsam mit seinem Team-Kollegen Gary Hall junior den Olympiasieg über die 50m Freistil geschnappt. Dies hätte der Start einer erfolgreichen Karriere sein können, doch für Anthony war es der Beginn eines tiefen Falls.

"Die Erinnerungen sind etwas verschwommen", erinnerte er sich am Rande der Olympischen Spiele in Rio im Gespräch mit swimsportnews. "Ich war sehr unvorbereitet damals." Der Rummel fraß ihn auf. Ein wenig ritt er noch auf der Erfolgswelle, wurde 2001 Weltmeister über die 50m Freistil, doch dann blieben die sportlichen Triumphe zusehends aus und die Motivation fürs Training ging gegen Null.

Anthony versackte in Depressionen, wandt sich Alkohol und Drogen zu und hauste lange Zeit bei Bekannten auf der Couch, da er sich eine eigene Wohnung nicht leisten konnte. Erst mit der Hilfe seines guten Freundes Lars Merseburg entdeckte er vor einigen Jahren das wieder, was er beim Schwimmen so vermisst hatte.

Der ehemalige deutsche Nationalschwimmer betreibt in New York eine Schwimm-Schule für Kinder und bot Anthony einen Job an. Die Leichtichkeit der Kids ließ den Olympiasieger erkennen, dass er selbst diese Spielfreude im Wasser verloren hatte. Über eine Mastersgruppe begann er langsam wieder seine Bahnen zu ziehen - ohne Druck und festes Ziel.

Bei seinem Treff mit der Schwimm-WG erinnert sich Anthony an diese Zeit:

Nach und nach lief es wieder. Die Begeisterung fürs Wasser kam zurück. "Ich liebe das Schwimmen, den Lifestyle. Das Wasser ist mein Zufluchtsort und ich werde das nicht so schnell aufgeben. Egal, ob ich der Beste der Welt bin oder im Wettkampf keine Rolle mehr spiele", meint Anthony heute über seine Verbindung zum nassen Element.

2012 war er zurück auf der Olympischen Bühne, stand im wieder Finale über die 50m Freistil. In Rio setzte er nun noch einen drauf. Zunächst verdiente er sich mit einem Vorlaufeinsatz in der 4x100m Freistilstaffel der USA eine Olympia-Goldmedaille. Dann kam das große Highlight: Mit nur einer Hundertstel Vorsprung schnappte er über die 50m Freistil dem Titelverteiger Florent Manaudou den Sieg weg.

Erneut Olympiagold über die 50m Freistil, wie bereits vor 16 Jahren in Sydney. Doch diesmal ist Anthonys Perspektive eine andere. "Dieses Rennen zu Gold... Das waren nur 37 Züge, aber es brauchte unglaublich viele Menschen, um das möglich zu machen", erklärt er. "Als ich jünger war, habe ich das nicht wirklich verstanden. Das Gewicht dieser Goldmedaille jetzt fühlt sich deutlich leichter an, weil ich weiß, dass es von so vielen Schultern getragen wird."

Er wirkt aufgeräumt, diese Anthony Ervin im Jahr 2016. Für seinen Traum vom erneuten Olympiagold scheute er sich nicht davor, noch einmal alle Zelte abzubrechen. Um sich den Feinschliff verpassen zu lassen, zog er vier Monate vor den Spielen aus seiner Heimat Kalifornien quer durchs Lands nach Charlotte zu Starcoach Dave Marsh. Ein Risiko, das sich bezahlt machte.

Der erneute Olympiasieg über die 50m Freistil könnte ein toller Abschluss der "Anthony-Ervin-Story" sein. Aber ans Aufhören denkt der mittlerweile 35-Jährige noch lange nicht. Selbst die Olympischen Spiele 2020 will er nicht ausschließen und verrät augenzwinkernd: "Ich verspreche euch, ihr werdet mich in Tokio sehen. Ob ich dann Anzug und Schwimmbrille oder Anzug und Krawatte tragen werde, das bleibt noch abzuwarten."