(29.12.2012) Im zweiten Teil unseres Blicks auf das Jahr 2012 widmen wir uns den Entwicklungen des deutschen Schwimmsports und den Ergebnissen der DSV-Athleten in den vergangenen zwölf Monaten. Das komplette Jahr lang waren die DSV-Schwimmer ohne Bundestrainer. Die Turbulenzen an der Verbandsspitze lagen wie ein Schatten über den sportlichen Leistungen der Athleten, die bei den Olympischen Spielen in London eine historische Pleite erleben mussten.
Der deutsche Schwimmsport des Jahres 2012 war bestimmt von negativen Schlagzeilen. Sportlich erlebten die DSV-Athleten bei den Olympischen Spielen in London das schlechteste Ergebnis seit 80 Jahren. Nur eine DSV-Edelmetall gab es, erkämpft durch Freiwasser-Ass Thomas Lurz. Im Becken gingen die deutschen Schwimmer komplett leer aus. Die sportlichen Ergebnisse spiegelten die Turbulenzen an der Verbandsspitze wieder. Die schwierige Bundestrainersuche, diskussionsfreudige Stützpunkttrainer und eine Präsidentin ohne Rückhalt an der Basis prägten das Bild des Verbandes im Jahr 2012.
Medaillenregen bei Europameisterschaften
Dabei begann das Jahr durchaus optimistisch. Bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin konnten 14 Athleten die Normzeiten für die Olympischen Spiele knacken. Athleten wie Rückenspezialist Jan-Philip Glania und Newcomer Philip Heintz sorgten für positive Überraschungen. Ein starkes Bild gaben die deutschen Schwimmer wenig später bei den Europameisterschaften im ungarischen Debrecen ab. Die DSV-Athleten schwammen 17 mal aufs Podium. EM-Titel gab es für Paul Biedermann, Britta Steffen, Jenny Mensing, Sarah Poewe sowie die 4x200m Freistilstaffel der Herren und die 4x100m Lagen- und Freistilstaffeln der Damen. Im Medaillenspiegel bedeutete dies Platz zwei hinter Gastgeber Ungarn und die erfolgreichste Schwimm-EM seit zehn Jahren. Angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele hatten jedoch zahlreiche Top-Nationen wie Frankreich oder die Niederlande weitgehend auf die Titelkämpfe verzichtet.
Olympia-Debakel in London
Bei den Olympischen Spielen relativierten sich die Ergebnisse dann. Die Asse stachen nicht und auch die vermeidlichen Überraschungskadidaten gingen leer aus. Für Paul Biedermann platzten die Medaillenhoffnungen über die 400m Freistil am ersten Tag der Spiele bereits in den Vorläufen. Über seine Paradestrecke 200m blieb ihm wie schon vier Jahre zuvor nur der fünfte Platz. Britta Steffen erzielte mit einem bitteren vierten Platz über die 50m Freistil ihr bestes Ergebnis in London. Doch nicht nur die beiden Aushängeschilder kamen nicht an die Erwartungen heran. Auch in der Breite blieben die nach wie vor ohne Bundestrainer antretenden DSV-Schwimmer in London unter ihren Möglichkeiten. Nur bei sechs von 27 Einzelstarts konnten die deutschen Athleten ihre Saisonbestleistungen steigern. Eine herbe Enttäuschung waren auch die deutschen Damenstaffeln, von denen keine einzige den Einzug ins Olympiafinale packte. Es gab nur wenige positive Aspekte der Spiele in London. Thomas Lurz konnte mit seiner Silbermedaille über die 10km-Distanz im Freiwasser dafür sorgen, dass die deutschen Schwimmer nicht komplett mit leeren Händen da standen. Auch Sprintspezialist Steffen Deibler konnte mit starken Rennen überzeugen. Doch dies waren nur schwache Glanzlichter am sonst düsteren DSV-Himmel.
Stürmiger Herbst für den DSV
Die zweite Jahreshälfte war geprägt von der Aufarbeitung der Ergebnisse von London und des Blicks auf die Zukunft des deutschen Schwimmsports. Als Konsequenz aus den Olympischen Spielen wurde eine "Strukturkommission" eingesetzt, die die Ergebnisse von London und die Strukturen des deutschen Schwimmsports unter die Lupe nehmen und Empfehlungen für eine bessere Zukunft abgeben soll. Die Ergebnisse des Gremiums stehen noch aus. Sie sollen Anfang des kommenden Jahres vorgestellt werden. Dabei gab schon die Besetzung der Kommission erneuten Anlass zu Auseinandersetzungen innerhalb des Verbandes. Die Bundesstützpunkttrainer waren nicht vertreten und übten daran heftige Kritik. Im Rahmen des Weltcups in Berlin rückten zudem wie so oft die Entwicklungen abseits des Beckenrandes in den Mittelpunkt. Die Stützpunkttrainer um Biedermann-Coach Frank Embacher setzten angesichts auslaufender Veträge der Präsidentin des DSV öffentlich die Pistole auf die Brust. Embacher drohte so mit einem Wechsel von Biedermann und seines neu gewonnenen Schützlings Britta Steffens ins Ausland.
Bundestrainersuche mit Hindernissen
Letztlich konnte zwar eine Einigung erzielt werden, doch die Auseinandersetzung war ein typisches Bild für den Zustand des DSV im Jahr 2012. Auch die Wahl des DSV-Präsidiums im November brachte die Uneinigkeit des Verbandes zutage. Nur mit mageren 57 Prozent wurde Christa Thiel als DSV-Präsidentin bestätigt - und dies ohne dass es einen Gegenkandidaten gab. Angesichts dieser Geschehnisse war es auch nicht verwunderlich, dass sich die Bundestrainersuche schwerer gestaltete als erwartet. Die unter anderem von vielen Sportlern erhoffte frische Luft von außen blieb aus. Ausländische Bewerber für den Posten waren rar. Top-Kandidat Paulus Wildeboer aus Dänemark zog es nach Australien, wo er in festen Strukturen zu finanziell deutlich besseren Konditionen arbeiten kann. Letztlich wurde der Essener Stützpunkttrainer Henning Lambertz als Chef-Bundestrainer präsentiert. Nach mehr als einem Jahr ohne Bundestrainer soll er ab Januar die sportliche Entwicklung der DSV-Schwimmer bestimmen.
Nachwuchs sorgt für Hoffnungen
Sein Konzept setzt auf die Athleten der zweiten Reihe und den Nachwuchs. Im zurückliegenden Jahr konnten junge Athleten wie Christian Diener und Alexandra Wenk in die vordere Reihe des deutschen Schwimmsports vorstoßen. Die 18-jährige Vize-Europameisterin Silke Lippok ist hier bereits etabliert. Für Hoffnungen sorgten zudem die Leistungen, die die deutschen Nachwuchssportler wie zum Beispiel Rob Muffels bei den diesjährigen Junioren-Europameisterschaften ablieferten. Verstärkung aus der zweiten Reihe ist durchaus angebracht. Zum Abschluss des Jahres wurde bei den Kurzbahn-Weltmeisterschaften in Istanbul einmal mehr die Abhängigkeit des Erfolges der deutschen Schwimmer von Paul Biedermann und Britta Steffen deutlich. An allen vier DSV-Medaillen waren sie beteiligt. Zumindest war es jedoch das beste Ergebniss der deutschen Schwimmer bei den zurückliegenden drei Kurzbahn-Weltmeisterschaften. Als erste Tendenz nach oben ist dies kaum zu werten. Nach dem historischen Tief des Jahres 2012 liegt ein schwerer Weg vor dem deutschen Schwimmsport, um wieder den Anschluss zur internationalen Spitze herzustellen. Ein erster kleiner Richtungsweiser werden die Weltmeisterschaften 2013 in Barcelona sein, dann mit neuem Bundestrainer und möglicherweisen neuen Strukturen des deutschen Schwimmsports.