02. Oktober 2025

Jeder kennt diesen einen Schwimmer in seiner Trainingsgruppe, der schon am frühen Morgen hellwach am Beckenrand steht und die ersten Scherze mit dem Trainer macht. Während die anderen ihre müden Augen hinter der Verspiegelung der Brille verstecken, ist er bereits voll da und könnte gefühlt übers Wasser laufen. Gehört man nicht zu den frühen Vögeln der Schöpfung, ist die morgendliche Wassereinheit aber auch der Gang zur Schule oder zur Arbeit immer wieder eine kleine Herausforderung. Jeder hat sofort eine Antwort auf die Frage, ob man sich eher zu den frühen Vögeln zählt oder vielleicht doch erst einige Stunden braucht, bis man mit beiden Beinen im Leben steht. Doch ab wann gilt man eigentlich als Nachtschwärmer oder Early Bird? Wie beeinflusst die Tageszeit unsere Aktivität und Leistungsfähigkeit in und außerhalb des Wassers? Und die wichtigste Frage: Kann man an seinem Biorhythmus irgendetwas ändern?

Der sogenannte zirkadiane Rhythmus ist zentraler Bestandteil der meisten Organismen dieser Erde. Der Wechsel zwischen Tag und Nacht macht es erforderlich, sich an die jeweilige Tageszeit anzupassen. Pflanzen richten ihre Blätter nach der Sonne und Eulen sind nachtaktiv, weil ihre Beute den Schutz der Nacht sucht. Menschen sehen nachts hingegen etwa genauso weit wie im Rostocker Hafenwasser ohne Schwimmbrille. Deshalb sind wir vorwiegend am Tag aktiv und werden zum Abend hin müde – zumindest in den meisten Fällen. Der Körper ist also kein konstant funktionierender Apparat. Alle Prozesse unterliegen einem eigenen Rhythmus und sind von einem steten Wechsel von Spannung und Entspannung geprägt. Die Flexibilität und Stärke von Muskeln, Körpertemperatur, Verdauung, Blutdruck oder die Bildung von Wachstumshormonen, alles unterliegt einem ständigen Auf und Ab. Dieses kann man sich als Kurve vorstellen, die sich alle 24 Stunden wiederholt. Wenn man mittags anstatt ins Wasser lieber in ein dickes Mittagstief eintaucht, ist das genauso Teil unseres Biorhythmus wie unsere manchmal überschießende Energie am späten Nachmittag. 

Eule, Lerche oder was dazwischen?

Es wird im Wesentlichen zwischen drei sogenannten Chronotypen unterschieden: Der Lerche, der Eule und dem Intermediärtyp. Zu letzterem zählen wenig überraschend die meisten von uns. Etwa 50 Prozent der Menschen gehören weder zu den Frühaufstehern noch zu den Nachtschwärmern. Wenn man ungefähr zwischen 23 Uhr und 0 Uhr ins Bett geht, ist das zwar nicht früh, aber Federn wachsen einem dadurch nicht. Schon eher, wenn man bereits von sich aus um sechs Uhr die Augen öffnet. Dann darf man sich als Lerche bezeichnen. Ungefähr 25 Prozent der Bevölkerung sind echte Frühaufsteher. Etwas weniger als ein Viertel dieser Erde bezeichnet sich hingegen als Eule. Sie sehen also weniger gern der Sonne beim Aufgehen zu (es sei denn, sie sind noch wach). „Wenn man weiß, welcher Typ man ist, hat man schon viel gewonnen. Es ist wichtig auf die körpereigenen Signale zu hören und zu akzeptieren, dass man an seinem Chronotypen nicht viel ändern kann.“ Jan-Frieder Harmsen ist Doktorand an der Universität Maastricht und beschäftigt sich derzeit intensiv mit dem zirkadianen Rhythmus und dessen Auswirkungen auf den Menschen. Wie sehr dieser unser Leben im Griff hat, verdeutlicht er an den Hormonkurven, die sich täglich immer wieder aufs Neue und zur selben Zeit wiederholen. Melatonin zum Beispiel ist allseits bekannt als das „Schlafhormon“. Es signalisiert dem Körper am Abend, dass es langsam Zeit ist zur Ruhe zu kommen und zu Bett zu gehen. Der Körper reagiert mit Müdigkeit. Steigt der Melatonin-Spiegel, verringert unser Körper langsam seine Temperatur. Sie ist der Hauptindikator für den aktuellen Erregungsstand des Körpers. Die Körperkerntemperatur schwankt im Laufe des Tages um bis zu ein Grad. Laut Harmsen kann man das besonders gut am Abend beobachten: Die Gliedmaßen beginnen warm zu werden. Durch das Weiten der Blutgefäße in Armen und Beinen strömt mehr Blut weg vom Rumpf und lässt so die Körpermitte abkühlen. Eine ausreichend hohe Körpertemperatur ist die Grundvoraussetzung für Höchstleistungen – logisch, zitternd ist schließlich noch niemand Weltmeister geworden. Jedoch steigt diese ebenso wie viele andere Werte im Körper erst im Laufe des Nachmittags auf einen Höchstwert an. Gesteuert werden all diese Prozesse von einem winzigen Gehirn-Areal im Hypothalamus, dem Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Dieser beeinflusst über sogenannte Clock Proteine unsere innere Uhr, welche in etwa einem 24-Stunden-Rhythmus folgt. 

Wann sind wir wirklich fit für die Bestzeit?

Wie sich die zirkadiane Kurve auf unsere Leistungsfähigkeit im Wasser auswirkt, haben sich erst im vergangen Jahr Forscher am Beispiel der Olympischen Schwimmwettbewerbe von 2004 bis 2016 angeschaut. Die im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature“ erschienene Studie wollte herausfinden, welchen Einfluss die Tageszeit, zu der die Wettbewerbe stattfanden, auf die Leistung der Athleten hatte. Die Sportart Schwimmen eignete sich laut den Forschern besonders gut aufgrund der sehr gut vergleichbaren Bedingungen. Das Team untersuchte die jeweiligen Leistungen der Schwimmer bei Vorläufen, Semi-Finals und Finals, welche zu unterschiedlichen Tageszeiten stattfanden. Die Vorläufe waren im Schnitt 0,5 Prozent langsamer als die Halbfinals und diese wiederum 0,2 Prozent langsamer als die Finals. Das klingt erstmal wenig überraschend, denn jeder weiß um die motivierende Wirkung eines Finals. Interessant war dabei, dass der Unterschied zwischen den Vorläufen und Finals in Peking nur 0,6 Prozent betrug. Bei den Olympischen Spielen in Athen und London hingegen waren es gut 0,9 Prozent. Die Finals in Peking fanden im Gegensatz zu den anderen Spielen am Morgen und die Vorläufe am Nachmittag statt. Der individuelle Unterschied zwischen Vor- und Endlauf lässt sich nicht zu einhundert Prozent auf die Tageszeit zurückführen, der Unterschied dieser Werte von den einen Olympischen Spielen hin zu den anderen allerdings schon. Es lässt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Tageszeit und der zu dem Zeitpunkt maximal zu erbringenden Leistung ziehen. In unserer aufgearbeiteten Abbildung wird deutlich wie sich die Leistungsfähigkeit auf einer Kurve über den Tag verteilen. Laut dem Modell der Forscher ist die schlechteste Leistung am Morgen um 5:12 Uhr zu erwarten. Am schnellsten sind Athleten laut des Modells um 17:12 Uhr.  

0,37 Prozent – eine Zahl zum Einrahmen

Doch ist es nicht möglich sich durch bewährte Mittel wie Koffein, Erwärmung, frühem Aufstehen oder lauter Musik in solch eine Verfassung zu versetzen, dass die Tageszeit keine Rolle spielt? Der Forscher Jan-Frieder Harmsen hat dazu eine klare Antwort: „Selbst wenn man zu einer sehr frühen Tageszeit alles tut, um sich zu pushen, wird man lediglich eine für diesen Zeitpunkt maximale Leistung erzielen können. Gleiche Mittel zu einer günstigeren Tageszeit eingesetzt, haben denselben Effekt. Man kann da auf und ab springen, unser Biorhythmus setzt uns leider klare Grenzen.“ Laut der Olympia-Studie beträgt der Unterschied zwischen dem Tageshoch und -tief ganze 0,37 Prozent. Dieser Wert machte in 40 Prozent der Finals den Unterschied zwischen Gold und Silber sowie in 64 Prozent der Endläufe den Abstand zwischen Silber und Bronze aus. 

Damit ist man direkt bei der Frage, ob bestimmte Chronotypen im Sport bevorteilt werden bzw. Nachteile haben. Als Leistungssportler steht man selten erst nach 7 Uhr auf. Meist wird bereits vor den ersten Sonnenstrahlen die Schwimmbrille aufgesetzt und ins Becken gesprungen. Nachtschwärmer haben da nicht gerade das große Lächeln im Gesicht. Im Wettkampf ist es ebenso: Wer morgens nicht schnell schwimmen kann, darf am Nachmittag im Finale lediglich anfeuern. Eine Untersuchung zwischen den drei verschiedenen Typen ergab, dass sich die Peak-Zeit, also der Zeitpunkt der besten Leistungsbereitschaft am Tag um ganze acht Stunden unterscheiden kann. Lerchen bringen bereits kurz nach der Mittagszeit bzw. etwa sechs Stunden nach dem Aufwachen ihre beste Leistung. Eulen brauchen jedoch ganze 12 Stunden, bis sie ihren Peak erreichen. Sie sind erst am Abend um 20 bis 22 Uhr am leistungsfähigsten. Der Intermediärtyp kann, ähnlich wie in der Olympia-Studie dargelegt, am Nachmittag seine beste Leistung abrufen. Wann ein jeder von uns schnell schwimmen kann, ist also gar nicht so leicht zu sagen. Eines ist hingegen Fakt: Im Wettkampf müssen alle auf das gleiche Signal starten - egal wie fit man gerade ist. Inwiefern sich der Chronotyp auf den Erfolg im Schwimmsport auswirkt, ist bisher nicht untersucht. Es lässt sich jedoch vermuten, dass sich die Vor- und Nachteile der Typen eher ausgleichen. Hat man am Morgen eine schwere Zeit beim Training, fällt es einem dafür wahrscheinlich in der Einheit am Nachmittag umso leichter. Early Birds müssen dafür an langen Wettkampftagen oder bei Finals am Abend aufpassen, rechtzeitig mit Koffein oder einem kurzen Nickerchen gegenzusteuern. 

Den Rhythmus erkennen und unterstützen

Letzteres sieht Harmsen als sehr gute Möglichkeit seinen eigenen Rhythmus einzupendeln: „Wenn man die Zeit hat und zum Beispiel mittags sehr müde wird, kann ein kurzer Nap von 20 bis 30 Minuten besser helfen als der zweite oder dritte Kaffee.“ Um sein maximales Potenzial auszuschöpfen, empfiehlt der Experte sich bewusst zu machen, wie unsere innere Uhr tickt und zu erkennen, wann wir unsere persönlichen Hochs und Tiefs haben. Wichtig ist es zudem natürlich ausreichend Schlaf zu bekommen. Wenn man für die erste Trainingseinheit bereits morgens um 5:45 Uhr aufstehen muss, sollte man sich schon gegen 22 Uhr bereit machen fürs Bett, um dem Körper noch etwas Zeit zum Herunterfahren zu geben. Als Signal, dass es langsam Zeit wird für den Sandmann, sollte man das Licht dimmen und am besten jede Art von Display meiden. „Das blaue Licht von Smartphones und Co. strahlt auf unsere Netzhaut und gibt dem Körper ständig Tageslicht-Signale. So wird die Melatonin-Produktion gehemmt und es fahren auch andere Körperfunktionen nur langsam herunter“, erläutert der Forscher. Harmsen unterstreicht die Wichtigkeit, die externen Signale für den Körper zu verstärken, um für ausreichende Erholung nach einem trainingsreichen Tag zu sorgen. Er empfiehlt Menschen, die Probleme haben beim Einschlafen, zwei Stunden vor dem Zubettgehen eine sogenannte Blaufilter-Brille zu tragen. Diese filtert das blaue Licht des Bildschirms heraus und gibt dem Körper so das Signal, dass nun Schlafenszeit ist. Nachweislich helfen diese Brillen den Melatoninspiegel am Abend zu erhöhen, sodass wir schneller müde werden. Am Morgen wiederum gilt es dem Körper zu signalisieren, dass es nun Zeit ist aufzustehen. Um die Körperkerntemperatur zu erhöhen und uns wach werden zu lassen, bieten sich zum Beispiel kalte Duschen an. Die Gefäße der Extremitäten verengen sich. Somit strömt mehr Blut in die Körpermitte. Der morgendliche Kaffee oder schwarze Tee hilft ebenso die Augen aufzubekommen. Unterschätzt wird laut Harmsen zudem die Wichtigkeit von Tageslicht – auch beim Training. Oft sind Trainingsstätten zu schlecht beleuchtet und lassen zu wenig Sonnenlicht hinein. Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man deshalb gerade im Sommer so viel wie möglich an der frischen Luft trainieren. Zusätzlich kann man morgens aber auch mit Tageslichtlampen arbeiten, vor allem in den dunklen Jahreszeiten. Sie helfen dem Körper zu signalisieren, dass man nun wieder in die Vertikale kommen sollte. Viele Trainer lassen ihre Sportler im Training schon morgens intensive Inhalte schwimmen. So sollen sie lernen, bereits früh hohe Leistungen zu erbringen, um sich im Wettkampf nicht auf dem neunten Platz als Vorlaufleiche wiederzufinden. Dass das jedoch den gewünschten Effekt erzielt, bezweifelt der Forscher der Universität Maastricht. „Wenn man lediglich einen Faktor, also die Anstrengung im Training verändert, passt sich der Körper nicht wirklich an. Man müsste auch andere Faktoren verändern, wie die Lichteinwirkung, die Mahlzeiten oder die Bettzeiten. Diese Dinge sind für den Wachzustand der Sportler deutlich entscheidender“, so Harmsen. 

Helfen Fitnesstracker für einen guten Schlaf?

Um dem Biorhythmus auf die Spur zu kommen, gibt es heutzutage auch allerlei technologische Helferlein. Sogenannte Wearables messen unter anderem den Puls, die Bewegung des Arms oder sogar die Temperatur der Haut. Sie können so ein individuelles Schlafprofil erstellen und sogar am Ende eine Bewertung über die Qualität des Schlafs abgeben. Sie erkennen mit immer größer werdender Genauigkeit, in welcher Schlafphase man sich gerade befindet und können sogar Vorschläge machen, wann man langsam zu Bett gehen und wann aufstehen sollte. Einer Untersuchung im Schlaflabor kommt so ein Tracker natürlich nicht nahe, jedoch kann man besonders über die Messung der Körpertemperatur Aufschlüsse darüber geben, wann man sich optimalerweise zu Bett begeben sollte. Leider ist die Temperaturmessung der Uhren oft noch nicht ausreichend genau, wodurch eine solche Vorhersage noch etwas schwammig sein kann. Die Tracker helfen aber allemal unser Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wichtig ausreichend Erholung für unsere Gesundheit und körperliche Leistung ist. Wenn man sich seiner persönlichen Hochs und Tiefs bewusst ist, kann man sich darauf einstellen und seinen Tag effektiver planen. Zum Beispiel kann man sich leichtere Meetings in die Tiefphasen des Tages legen und sich wichtige Aufgaben oder intensive Einheiten für die Bärenphase des Biorhythmus aufheben und so mit Schwung über die eigene Leistungskurve surfen. 

Dieser Artikel erschien in der Frühjahrsausgabe 2021 des swimsportMagazine. Alle noch verfügbaren Ausgaben der Zeitschrift für den Schwimmsport können im großen swimsportMagazine-Paket bestellt werden. Zum Sonderpreis erwarten euch hier mehr als 1500 Seiten geballtes Schwimmwissen --> Das swimsportMagazine-Paket