„Gruppe 1, Abgang halb. Gruppe 2, zehn Sekunden später“, tönt es vom Beckenrand. Viele kennen das, wenn der Trainer mal wieder Anweisungen Richtung Pool ruft und versucht bei 10, 20 oder sogar noch mehr Athleten den Überblick zu behalten. Oft ist das gar nicht so einfach und wenn sich dann noch Rückenschwimmer und Brustspezis über den Haufen schwimmen, dann ist das Chaos perfekt. Schwimmer trainieren meist in Gruppen, doch am Ende des Tages sind wir Individualsportler. Jeder Athlet hat andere Bedürfnisse und Voraussetzung und eigentlich will man als Coach jedem Sportler gerecht werden. Doch wie kann das überhaupt funktionieren? Wir haben uns der Frage nach der Individualisierbarkeit im Gruppentraining gewidmet.
Kein Schwimmer ist wie der andere. Der eine mag Sprints, der andere ist ein Langstreckenspezi. Es gibt vier verschiedene Schwimmarten und als ob das noch nicht genug wäre, kombinieren wir diese dann auch noch in eine fünfte, das Lagenschwimmen. Schaut man sich dann noch die unterschiedlichen Leistungsniveaus, körperliche Voraussetzung oder auch Zielstellungen an (Will ich Weltmeister werden oder schwimme ich, um fit zu bleiben?), ergeben sich die unterschiedlichsten Varianten dafür, wie denn eigentlich das ideale Training für den einzelnen Sportler aussehen soll. Und doch: Im Vereins- und Leistungssport trainieren nahezu weltweit alle Athleten in Gruppen und nur sehr selten ziehen Sportler im Einzeltraining mit einem persönlichen Coach ihre Bahnen. Doch warum eigentlich?
Geteiltes Leid ist halbes Leid
Der Schwimmsport wird beinahe weltweit in Trainingsgruppen organisiert. In den üblichen Teams und Vereinen sind häufig Gruppen zwischen 10 und 20 Schwimmern zusammen, also sprechen wir hier eigentlich schon von einer ganzen Mannschaft. Das hat durchaus seine Gründe und bringt auch so manchen Vorteil mit sich. Frei nach dem Motto „geteiltes Leid ist halbes Leid“ kann das Gruppengefüge dabei helfen, harte Trainingseinheiten durchzustehen. Beim Wettkampf ist man ebenfalls nicht allein, sondern kann sich auf die Unterstützung vom Beckenrand verlassen. Und das „gegeneinander“ schwimmen im Training, also eine gesunde Konkurrenz mit den Teamkollegen, hilft dabei sich gegenseitig zu neuen Höchstleistungen zu pushen. Oftmals sind es jedoch gar nicht diese idealistischen Hintergründe, warum das Training von Schwimmern in Gruppen organisiert ist. Würde jeder Athlet auf ein Einzelcoaching bestehen, bräuchte es eine ganze Armee an Trainern, die ja dann auch bitte bestens ausgebildet sein sollten. Zudem gilt: Je kleiner die Trainingsgruppe, desto mehr Platz auf der Bahn hat der Einzelne. Im Umkehrschluss heißt das: In größeren Gruppen können mehr Schwimmer auf der gleichen Wasserfläche trainieren. Und Bahnenzeiten sind in den meisten Orten nun einmal knapp bemessen. Das Training in Gruppen folgt also durchaus auch einigen Effizienzgesichtspunkten.
Anderer Schwimmer, andere Bedürfnisse
Das große „Aber“ haben wir bereits erwähnt: Jeder Schwimmer hat individuelle Voraussetzungen und Ansprüche. Das Gruppentraining kann somit einige Nachteile mit sich bringen. Ist das Programm an den Top-Schwimmern der Gruppe ausgerichtet, kann es die schwächeren überlasten. Umgekehrt können die starken Sportler unterfordert sein, wenn man ihnen nicht genug abverlangt. Im Vereinswesen wird zudem vielerorts eine zweifelhafte Vorgehensweise bei der Gruppeneinteilung praktiziert: Oft werden diese vor allem nach Alter und weniger nach Leistungsstärke eingeteilt. So verschärft man das Problem der mangelnden Individualisierung, da damit auch die unterschiedliche körperliche Entwicklung, die Jugendliche während und nach der Pubertät durchlaufen, nicht beachtet wird. Eines weiteren Nachteils sollte man sich im Gruppentraining bewusst sein: Auch das ständige Schwimmen im Kreisverkehr kann sich auf die Dauer negativ auswirken. So schleift es sich bei Wenden zum Beispiel ein, dass sich Schwimmer in Richtung der neuen Bahnhälfte abstoßen. Auch im Wettkampf sieht man daher immer wieder Schwimmer, die auf ihrer Bahn nicht nur auf und ab, sondern quasi im Kreis schwimmen und damit unnötige Extrameter zurücklegen.
Aus der speziellen Trainingslehre kennen wir zudem die Bedeutung der Wiederherstellung, also Regeneration, nach jedem Training. Gehen wir also davon aus, dass ein Training X mit einem bestimmten Ziel für eine Gruppe gemacht wurde. Es stellt sich dann die Frage, ob beim Folgetraining alle im gleichen und damit erholten Zustand sind, um den nächsten richtigen Trainingsreiz zu setzen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen wir feststellen, dass bei allen Vorteilen des Gruppentrainings die Wichtigkeit sehr hoch ist, ein individuell angepasstes Training umzusetzen, um mittel- und langfristig einen Leistungszuwachs zu erzielen. Passt dieses System von Belastung und Erholung über einen längeren Zeitraum nicht zusammen, wird es zu einer Leistungsstagnation kommen, auch wenn grundsätzlich gut trainiert wurde.
Andere Trainer – anderes Training
Welche Möglichkeiten lassen sich also einsetzen, um eine gewisses Maß an Individualität zu erlangen. Schauen wir auf die internationale Spitze, dann fällt auch hier auf, dass dort meist in Gruppen trainiert wird. Aber: Der Trend geht hier stark hin zu sehr homogenen Gruppen. Jeder Schwimmer hat dort zwar eigene Ansprüche, doch diese unterscheiden sich nicht allzu sehr von denen der anderen. Mitunter funktioniert diese Auswahl automatisch: Ein als „Sprintexperte“ bekannter Trainer zieht zum Beispiel die Kurzstreckenspezialisten zu sich und wenn ein Athlet merkt, dass er mit der Trainingsweise seines Coaches nicht zurechtkommt, erwägt er zwangsläufig irgendwann einen Wechsel. Je nachdem, welche Ziele man für sich selbst setzt, kann es also durchaus Sinn machen, sich mal in der Umgebung umzuschauen und auszuloten, wie dort trainiert wird. So kann man sich dem Trainer anschließen, der den individuellen Bedürfnissen am besten gerecht wird.
Gerade im Vereinssport wird es sich nicht machen lassen, komplette Trainingsgruppen nach Sprintern, Langstrecklern usw. zusammenzusetzen. Was jedoch möglich ist: Man kann die eigene Trainingsgruppe in mehrere Untergruppen teilen und hier zum Beispiel unterscheiden nach Distanzen (Lang, Mittel, Sprint), nach Schwimmart oder auch nach Leistungsstand. Letzteres wird in der Praxis oft gemacht, indem beim Training auf mehreren Bahnen die besten Athleten jeweils an der Spitze des Pulks schwimmen und so als Abgangsgruppe starten. Nach hinten zu wird dann nach Leistungsstärke abgestuft. Dies hat zwar für den Trainer den Vorteil, dass ein Trainingsplan für alle reicht. Letztlich dient diese Form der Unterteilung aber eher der Organisation des Trainingsbetriebs und weniger dazu dem einzelnen Athleten gerecht zu werden. Ein erster Schritt zu mehr Individualität ist das bewährte Schwimmen von Haupt- und Nebenlagen. Das dürfte jeder Vereinsschwimmer kennen. Die Belastungsintensitäten für die einzelnen Athleten sind dabei meist gleich, sie schwimmen die vorgegebenen Serien aber jeder in seiner individuellen Hauptlage. Da dafür die Brustschwimmer natürlich andere Abgänge benötigen als die Kraulexperten, ergeben sich automatisch meist auch leicht andere Umfänge oder Pausenzeiten. Dies kann sich durchaus nachteilig auswirken, wenn die Freistil-Asse schon am Beckenrand chillen, während die anderen kaum hinterherkommen.
Merke: Die Durchführung von individuell gesteuerten Hauptlage-Serien in verschiedenen Schwimmdisziplinen ist bei großen Gruppen nicht optimal durchführbar. Die Steuerung der interindividuellen Pausen- bzw. Abgangszeiten wird beispielsweise schon sehr schwierig werden. Die Lösung als Kompromiss über einen Mittelweg muss dann sehr gut geplant sein. Es sollte nicht zu einer ständigen Über- und Unterforderung der Schwimmer kommen.
Eine Gruppe – mehrere Programme
Ab einem bestimmten Level macht es also durchaus Sinn, sich unterschiedliche Inhalte für die Gruppe zu überlegen und damit für die einzelnen Untergruppen tatsächlich eigene Trainingsprogramme zu schreiben. Doch wonach richte ich mich als Coach hierbei? Streckenlänge? Leistungsniveau? Oder Spezialschwimmart? Das „Prinzip der individualisierten Belastung“ spielt da eine besonders große Rolle. Jedes Training muss auf die individuellen Ziele und Bedürfnisse sowie psychophysische Voraussetzungen abgestimmt und ausgerichtet sein. Natürlich müssen die Trainingsreize auch an den Anforderungen der Strecke bzw. Disziplin orientiert sein. Dabei darf nicht vernachlässigt werden, dass die sportliche Leistung ein Komplex aus vielen Teilkomponenten ist und erst mit der richtigen Mischung, individuell abgestimmt, die persönliche Höchstleistung des jeweiligen Sportlers erreicht werden kann. Wenn ein Training optimal ausgeführt werden soll, muss dieses im gesamten langfristigen Leistungsaufbau neben dem Geschlecht auch auf das biologische Alter ausgerichtet sein. Zielsetzungen, Inhalte und Methoden sind daher immer alters- und geschlechtsspezifisch auszuwählen.
Gesetzte Ziele sollten dabei immer dem Schlagwort „S-M-A-R-T“ folgen:
S... Spezifisch (individuell)
M... Messbar
A... Angemessen (körperlich, altersgemäß)
R... Realisierbar (Rahmenbedingungen, Umfeld)
T... Terminierbar (Zeitmanagement)
Eine Zieldefinition muss also mit jedem einzelnen Schwimmer getroffen werden. Hier gilt es festzuhalten: Wo wollen wir gemeinsam hin? Die Jahresplanung ergibt sich dann aus dem jeweiligen nationalen und internationalen Wettkampfkalender und ist an das Niveau der Sportler angepasst. So muss zum Beispiel nicht jeder Schwimmer in der Gruppe alle Wettkämpfe schwimmen, sondern diese werden nach den individuellen Zielen gesetzt. Auf diese Weise kann schon bei der Jahresplanung auf die Bedürfnisse der einzelnen Athleten eingegangen werden. Basierend auf den Zielstellungen (Strecken, Disziplinen, Zeiten), den Leistungsvoraussetzungen und den sich daraus ergebenden Komponenten wie zum Beispiel dem Wettkampfplan können wir unsere Gruppe in Untergruppen einteilen. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, auf welche Arten des Trainings (z.B. Dauermethoden, Intervalltraining) die einzelnen Athleten besser anschlagen. Die Gruppen können und sollten im Laufe der Saison durchaus auch gemischt werden, wenn zum Beispiel nicht mehr nach Strecken sondern dem bevorstehenden unterschiedlichen Wettkampf unterteilt wird. Die Differenzierung innerhalb der Gruppe wird dabei immer stärker, je näher wir uns auf den Saisonhöhepunkt zubewegen. Oft gibt zudem die zur Verfügung stehende Infrastruktur den Ordnungsrahmen für den Trainingsinhalt vor. Viele Vereine haben an verschiedenen Tagen eine verschiedene Anzahl an Bahnen zur Verfügung. In diesem Fall sollte auch die inhaltliche Aufteilung der Trainingseinheiten an die Gegebenheiten angepasst werden. Umso mehr Bahnen ein Trainer zur Verfügung hat, umso komplexer und interindividueller sollte die Trainingsplangestaltung sein. Auf höherem Niveau und damit auch in vielen Leistungszentren und Trainingsgemeinschaften ist es nicht ungewöhnlich, dass innerhalb einer Trainingsgruppe drei, vier oder auch fünf unterschiedliche angepasste Programme absolviert werden.
Individuelles Training bei wenig Platz
In den meisten Vereinen dürften drei oder vier Trainingsbahnen ein Luxus sein, von dem die Teams nur träumen können. Doch wie kann ich individualisieren, wenn mir wenig Platz – zum Beispiel nur eine einzige Bahn – zur Verfügung steht. Hier dafür ein paar Anregungen:
1. Nutze die Möglichkeiten auch neben der Schwimmbahn!
- eine Bahn schwimmen mit einem vorgegebenen Inhalt (z.B. 25/50 m Kraul 3er Atmung
- danach aus dem Wasser und beim Zurückgehen gibt es 5 Stationen
- Station 1) Liegestütz, Station 2) Rolle vorwärts, Station 3) Kniebeugen, Station 4) Situps, Station 5) Tappings
Dieser Kreisbetrieb kann nach beliebigen inhaltlichen Zielen angepasst werden, und ist beispielsweise fünf- bis zehnmal zu absolvieren. Die Anzahl der Wiederholungen bei den Übungen an Land können individuell vorgegeben werden und so kann man auf die Leistungsvoraussetzungen der einzelnen Schwimmer eingehen.
2. Nutze Trainingshilfen!
- Erhöhe die Intensität für gute Sportler mit diversen Trainingsgeräten (Bremsfallschirme, Blei an den Füßen, T-Shirt, etc.), während die schwächeren Schwimmer ohne diese schwimmen.
- Umgekehrt: Erhöhe den Vortrieb bei schwächeren Athleten zum Beispiel mit Flossen.
Gerade beim Training von Grundlagenausdauereinheiten kann so gut individualisiert werden.
3. Trainiere hohe Intensitäten in Staffeln
Das dürften Schwimmer gern hören: Wenn wenig Platz ist und hohe Intensitäten geschwommen werden sollen, bieten sich Staffeln an. Normalerweise zieht sich das Feld der Trainingsgruppe sonst oft weit auseinander, wenn es große Leistungsunterschiede gibt. Dann schlägt der Schnellste schon an, wenn die letzte Abgangsgruppe gerade erst startet. Lässt man aber die Athleten in Staffeln schwimmen, bekommen die schnelleren ihre Pause während die langsameren gerade im Becken sind und so kann jeder die vorgegebene Intensität schwimmen ohne auf den Vorder- oder Hintermann achten zu müssen. Und der Fun-Faktor trägt ebenfalls positiv bei.
4. Schwimmen im Kreisel
Diese Methode kennen wir von den Rennradfahrern, wenn sie das Windschattenfahren trainieren bzw. ausnutzen. Im Schwimmen ist in diesem Fall der Wasserschatten von Bedeutung. Die Schwimmer schwimmen hintereinander, und alle 100m (oder nach bestimmten Vorgaben), schwimmt der erste Schwimmer vor der Wende rechts weg, und der zweite Schwimmer übernimmt automatisch die Führungsposition. Der stehen gebliebene Schwimmer ordnet sich als letzter wieder ein. Wann dieser Wechsel stattfindet, beziehungsweise wer wie lange die Führungsposition hält, kann je nach Leistungszustand individuell vorgegeben werden.
Vielfältiges Training sorgt für breit ausgebildete Schwimmer
Auch in Trainingsgruppen mit sehr unterschiedlichen Sportlern kann es aber durchaus Sinn machen, bewusst eben nicht individuell sondern gemeinsam trainieren zu lassen. Gerade im Nachwuchsbereich bietet sich das oft an. Eine zu frühe Individualisierung kann hier dazu führen, dass Talente gar nicht erkannt werden und die Athleten selbst überhaupt nicht richtig wissen, was in ihnen steckt. Stattdessen sollte das Training im Jugendbereich möglichst breit und vielfältig angelegt sein. Eine gut ausgebildete Technik in allen Lagen sowie in den nichtzyklischen Bewegungen (Start, Wende), Grundlagenausdauer, Körperstabilität, die Delphinbewegung und Wassergefühl sind Voraussetzungen, die man sich erst einmal erarbeiten muss, bevor der Blick auf die individuellen Vorlieben geht. Auch bei „ausgewachsenen“ Schwimmern sollte sich der Trainer gut überlegen, welche Inhalte oder gar welche ganzen Einheiten zusammen geschwommen werden sollen. Das können gerade zum Saisonbeginn diverse Grundlagenausdauerblöcke sein oder auch in einzelnen Trainings bestimmte Schnelligkeitsaufgaben oder technisch- koordinative Inhalte. Denn so wichtig die Individualisierung auch ist: Ebenso wichtig ist es für die Athleten, immer wieder zu spüren, dass sie nicht allein sind beim Kacheln zählen, sondern auf die Unterstützung ihrer Gruppe bauen können.
Dieser Artikel erschien in der Januar-Ausgabe 2020 des swimsportMagazine. Alle noch verfügbaren Ausgaben der Zeitschrift für den Schwimmsport können im großen swimsportMagazine-Paket bestellt werden. Zum Sonderpreis erwarten euch hier mehr als 1500 Seiten geballtes Schwimmwissen --> Das swimsportMagazine-Paket