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09. Februar 2025

In keinem Moment sind wir so schnell wie in der Flugphase beim Start. Wer hier bereits einen deutlichen Geschwindigkeitsnachteil gegenüber der Konkurrenz hat, kann dies bei längeren Strecken zwar durchaus wieder aufholen. Aber bei den Sprintdistanzen zieht sich dieser anfängliche Nachteil oft bis zum Anschlag durch. Die gesamte Startphase muss daher genau auf die individuellen Qualitäten des einzelnen Athleten ausgerichtet werden. Wir haben hier für euch vier Faktoren zusammengestellt, die speziell die Sprinter beim Start beachten sollten.

1. Masse macht schnell!

Schwimmen ist eine Wissenschaft für sich. Auch beim Start spielt dabei die Physik eine immens wichtige Rolle. Beim Schwimmen wollen wir den Körper möglichst schnell durchs Wasser bewegen, dazu benötigen wir eine hohe Bewegungsenergie, auch kinetische Energie genannt. Diese hängt zum einen von der Geschwindigkeit zum anderen aber auch von der Masse ab. Nur weil zwei Schwimmer also gleich schnell sind, heißt das also nicht, dass sie dieselbe Energie haben.

Mit Blick auf den Start wird dies besonders in der Phase beim Eintauchen interessant. Hier wird der Körper durch den Wechsel von der „dünnen“ Luft ins deutlich dichtere Medium Wasser abrupt abgebremst, der Schwimmer gibt Energie ans Wasser ab. Grund dafür ist der Wasserwiderstand, der der Bewegung entgegenwirkt. Hat der Körper nun aber eine große Masse, bringt er beim Eintauchen auch mehr Energie mit. Das heißt, ein schwerer Schwimmer wird vom Wasser weniger stark abgebremst als ein leichterer Athlet. Nun könnte man denken: Ein massigerer Schwimmer bietet dem Wasserwiderstand auch mehr Angriffsfläche als ein kleinerer Athlet. Da es sich hierbei aber nur um die recht geringe Schattenfläche handelt, die sich etwa aus Kopf und Schultern ergibt, kann dieser minimale Nachteil vernachlässigt werden. Bleiben alle anderen Bedingungen gleich, sorgt damit allein ein Unterschied von fünf Kilogramm zusätzlichem Körpergewicht für einen Zeitvorteil von mehreren Zehntelsekunden auf den ersten 15 Metern. Die Voraussetzung bei alledem ist jedoch, dass ich über genug Sprungkraft verfüge, um die Körpermasse zunächst auf möglichst hohe Geschwindigkeiten zu beschleunigen. Denn: Ein schwerer Körper wird zwar weniger stark abgebremst, es braucht aber auch mehr Kraft, um ihn auf Geschwindigkeit zu bringen.

2. Aktiver Armeinsatz statt lockerem nach vorn Schlenkern

Die wichtigste Rolle für eine hohe Beschleunigung beim Start spielen zwar die Beine, doch das heißt nicht, dass die Arme Pause haben und – wie man es leider bei vielen Athleten immer wieder sieht – einfach locker nach vorn schlenkern können. Ein schneller Start beginnt bereits vor dem Absprung. Um beim Startsignal möglichst explosiv abspringen zu können, gilt es in der Startposition zunächst eine intensive Vorspannung aufzubauen. Durch das Lösen dieser Muskelspannung in den verschiedenen Gelenkbereichen beim Start kann eine größere Beschleunigungsarbeit verrichtet werden, als wenn man einfach nur ganz locker auf dem Block stehen würde. Praktisch wird dies darüber realisiert, dass sich der hintere Fuß in den Startblock presst, die Hände die Blockkante fest umfassen und man über den gesamten Arm in die Schultern und den Oberkörper hinein eine Spannung aufbaut. In der Weltspitze zeigen sich mit Blick auf die Armbewegung beim anschließenden Startsignal zwei Varianten. Die einen nehmen ihre Arme direkt nach vorn in Startrichtung. Beim Absprung sind die Hände so bereits vor dem Kopf. Die anderen ziehen den Oberkörper am Block aktiv mit den Händen nach vorn, wodurch die Arme beim Absprung hinten sind und die Athleten mit dem Kopf voraus abheben. Erst in der Endphase der Streckung bringen sie die Arme mit einer schnellen Bewegung nach vorn. Die Praxis zeigt, dass bei den Herren mittlerweile fast die gesamte Weltspitze die zweite Variante bevorzugt, da sie insgesamt explosiver ist und ein zusätzliches Schwungelement mit sich bringt. Dabei gibt es die unterschiedlichsten Arten, wie die Arme wieder nach vorn geführt werden. Einfach ist das Ganze nicht: Diese Art des Starts stellt hohe Ansprüche an Muskulatur und Koordinationsvermögen, da nur ein sehr kurzes Zeitfenster bleibt, um die Arme zum Eintauchen nach vorn zu bringen. Die Frage ist nun, warum nicht alle Schwimmer, also auch die Langstreckler, diese vermeintlich bessere Art des Starts nutzen. Vermuten lassen sich unter anderem zwei Gründe: Zum einen benötigt der Powerstart mehr Training und diese Zeit wird bei Nicht-Sprintern lieber in konditionelle Arbeit investiert. Zum anderen haben starke Sprinter insgesamt eine etwas andere muskuläre Veranlagung. Ihnen fällt es damit leichter, die schnellen und schwungvollen Bewegungen des Kopf-Voraus-Starts zu meistern. 

3. Nicht weit springen sondern schnell starten!

Im Grunde gibt es beim Start nur ein Ziel: Wie kann ich möglichst viel Geschwindigkeit aufbauen, um diese in die Schwimmrichtung mitzunehmen. Der zweite Teil ist hier entscheidend. Denn theoretisch würden wir beim Start die höchsten Geschwindigkeiten erzielen, indem wir hoch abspringen und quasi senkrecht eintauchen. Allerdings geht dieser Speed dann nicht zur Schwimmrichtung hin sondern schnurstracks in Richtung des Beckenbodens. Der Absprung sollte so kraftvoll wie möglich in Schwimmrichtung, also parallel zur Wasseroberfläche verlaufen. Bei modernen Startblöcken helfen dabei die geneigte Startfläche sowie der verstellbare Keil für den hinteren Fuß. Das Schwungbein wird darauf so platziert, dass der Fußballen möglichst hoch aber auch stabil auf dem Balken sitzt. Beim Start wird dann zunächst das hintere Bein gestreckt, um den Körper nach vorn zu bewegen. Das vordere Bein hingegen beginnt erst mit der Streckung, wenn sich der Fuß hinten vom Block gelöst hat. Wenn dann auch das Sprungbein keinen Kontakt zum Block mehr hat, sollte der Oberkörper bereits in etwa horizontaler Position sein. Damit dürfte der Sprung ordentlich Speed in Schwimmrichtung mitnehmen. Nun müssen wir aber natürlich noch ins Wasser. Dabei muss – egal ob Sprinter oder nicht – ein möglichst kleines Eintauchfenster genutzt werden, sprich: Die Füße tauchen etwa dort ein, wo die Hände die Wasseroberfläche durchbrochen haben. Dies sorgt für den geringsten Wasserwiderstand, womit wir wiederum mehr Geschwindigkeit mitnehmen. Diese Situation ist durchaus entscheiden, denn hier kann der Unterschied zwischen gutem und schlechtem Eintauchen mehr als 1 m/s an Geschwindigkeitsverlust bedeuten. Entscheidend ist es zudem, hier nicht möglichst weit zu springen, sondern viel Geschwindigkeit mit ins Wasser zu nehmen. Tendenziell wird Sprintern dafür ein eher flacher Eintauchwinkel bei etwa 30° oder sogar darunter empfohlen, da somit direkt ein zu tiefes Abtauchen und damit eine längere Wegstrecke vermieden wird. Kleines Eintauchfenster und flacher Winkel sind eigentlich ein Widerspruch, den es zu lösen gilt. Deswegen müssen Sprinter beim Start besonders sowohl mit Körperspannung als auch Flexibilität arbeiten. Direkt nach dem Durchbrechen der Wasseroberfläche kann so zum Beispiel die Umkehrbewegung von der Flugkurve zur Schwimmrichtung hin eingeleitet werden. Einigen gelingt es dabei sogar, die Hüfte so zu stellen, dass die Beine beim Eintauchen dem Wasser direkt den ersten Kick versetzen.

4. Schneller Übergang statt weiter Tauchphase

In der Unterwasserphase und beim Übergang in die Schwimmbewegung gibt es beim Sprintstart wohl die größten Unterschiede im Vergleich zu den Starts der Mittel- und Langstreckenspezialisten. Durch eine gute Delphinbewegung bzw. eine lange Tauchphase beim Brustschwimmen kann man bei langen Distanzen wichtige Körner für das weitere Rennen sparen. Bei Sprintern muss die Kraft aber über deutlich kürzere Strecken eingeteilt werden, daher spielt die Ökonomisierung des Starts bei ihnen keine Rolle. Entscheidend bei der Unterwasserphase ist der Fakt, dass wir im Grunde nur noch maximal auf dem Geschwindigkeitsniveau weiterschwimmen, auf dem wir die Schwimmbewegung beginnen. Wie weit getaucht wird und wer als Erster bei 15m hochkommt, ist da nicht zwingend immer entscheidend.  Auch hier können wir wieder auf Adam Peaty schauen. Der Olympiasieger hat zwar beim Start selbst durchaus Nachteile. Er hat es aber gelernt, die Unterwasserphase seinen eigenen Qualitäten anzupassen und nicht zu lang zu gestalten. Besonders deutlich wurde das im Halbfinale der WM 2017. Hier war der Russe Kirill Prigoda auf den ersten 15m fast eine halbe Sekunde schneller als Peaty. Trotzdem war es am Ende der britische Superstar, der in 25,95 Sekunden einen Weltrekord aufstellte, während Prigoda in 26,85 Sekunden anschlug. Eine der Ursachen lag hierfür bereits beim Übergang in die Schwimmgeschwindigkeit. Peaty tauchte zwei Meter eher auf als sein Konkurrent, begann das zyklische Schwimmen aber mit viel Speed von etwa 1,81m/s. Prigoda hatte hingegen zunächst mehr Geschwindigkeit beim Start aufgebaut, davon aber in der längeren Tauchphase auch wieder viel verloren. Er begann das Schwimmen etwa bei 1,64m/s. Peaty spielte nun seine Qualität aus: Er kann in der Schwimmbewegung hohe Geschwindigkeiten lange halten. Mit jeder Sekunde des Rennens nahm er so der Konkurrenz mehr als 15 Zentimeter ab. Am Ende hatte er damit den Rückstand nach der Tauchphase in einen deutlichen Vorsprung gewandelt. Der Grund dafür, das Prigoda unter Wasser langsamer wurde, ist einfach: Er ist dem vollen Wasserwiderstand ausgesetzt und beim Brustschwimmen gibt es in der Tauchphase nunmal nur einen einzigen erlaubten Armzug, der diesem Widerstand entgegengesetzt werden kann. Auf den längeren Strecken, wie den 200m Brust, macht es durchaus Sinn, weit zu gleiten, da dies ökonomisch ist und Energie spart. Bei Sprintern jedoch gilt es die Geschwindigkeiten durch geeignete Impulse lange hoch zu halten. Bei Freistil-, Rücken- Schmetterlingsschwimmern ist es individuell sehr unterschiedlich, wie gut dazu die Delphinbewegung während der Unterwasserphase geeignet ist. Hier ist es nicht immer zweckmäßig, die vollen erlaubten 15m unter Wasser zu tauchen. Dafür gibt es keine Blaupause, sondern das gilt es für jeden Schwimmer einzeln zu analysieren. Daher ist für die Bewertung des Übergangs nicht nur die 15m-Zeit zu betrachten. Die Zeit von 15m bis 25m oder auch nur 20m kann Aufschluss darüber geben, wie viel Speed mit in die Schwimmbewegung genommen wird. Als Sprinter lohnt es sich durchaus, an dieser Komponente ein wenig zu feilen und unterschiedliche Varianten für sich selbst zu testen.

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