Ellenbogen anstellen! Länger gleiten! Niedrigere Frequenz! Höhere Frequenz! … Techniktipps für Schwimmer gibt es so einige und gerade für die langen Strecken wird oft die Frage nach der perfekten Technik gestellt. Die Antwort lautet – auf die Gefahr hin, euch zu enttäuschen: Es gibt sie nicht. Körperbau, muskuläre Voraussetzungen und Vorerfahrung spielen hier eine zu große Rolle, als dass man eine Schablone vorgeben könnte. Aber: Ein wichtiger Punkt, den alle Schwimmer sich zu Herzen nehmen sollten, ist der Blick auf den sinnvollen Energieeinsatz und die Effizienz der Schwimmbewegungen. Dies ist bei allen Schwimmarten von großer Bedeutung, besonders dann, wenn es auf die Mittel- und Langstrecken geht. Wir haben uns diesem Thema einmal genauer gewidmet.
„Schwimmen“ ist nicht gleich „Schwimmen“. Wenn wir uns mit Technik und Stil beschäftigen, sollten wir nicht nur nach den vier Schwimmarten unterscheiden. Eine immens wichtige Rolle bei der Frage, wie eine möglichst optimale individuelle Technik aussehen sollte, spielt nämlich auch die Streckenlänge, die wir schwimmen wollen. Schaut man sich so zum Beispiel die Spitzensprinter dieser Welt an, sei es beim Kraul-, Brust- oder auch Schmetterlingsschwimmen, so fällt zum einen auf, dass sie auf den 50m und 100m mit äußerst hohen Frequenzen durchs Wasser pflügen. Zum anderen richten sie dabei mit ihren relativ geraden, fast schon steifen Armen, eine vergleichsweise große Kraft nach unten statt nach vorn. Das Ziel dabei ist, den Körper möglichst hoch im Wasser zu halten und quasi auf der Oberfläche zu surfen, um so dem Wasserwiderstand eine geringe Angriffsfläche zu bieten. Detailliert könnt ihr das in unserem Sprintspecial in der Frühjahresausgabe 2019 nachlesen. Das Problem bei dieser Art zu schwimmen: Es lässt sich nur eine recht kurze Zeit durchhalten. Unter Ausdauer verstehen wir, wie ihr bereits lesen konntet, ganz allgemein die Fähigkeit eine Bewegung in gleicher Intensität möglichst oft zu wiederholen. Sprinter absolvieren sehr viele Bewegungen in hoher Intensität. Da ist es klar, dass bei einer solchen Keulerei die Energiereserven des Körpers und seine Fähigkeiten, neue Energie bereit zu stellen, schnell an ihre Grenzen stoßen.
Mit der optimalen Frequenz zum Energiegleichgewicht
Die Frage auf den mittleren und langen Strecken ab 200m ist also nicht „Wie schwimme ich möglichst hohe Geschwindigkeiten?“ sondern „Wie kann ich hohe Geschwindigkeiten möglichst lange durchhalten?“ Das Zauberwort dafür lautet, egal bei welcher Schwimmart: „Effizienz“. Umso länger die Strecke wird, umso wichtiger wird ein ökonomischer Stil. Das Ziel besteht darin, möglichst schnell zu schwimmen, dabei aber die Energiereserven des Körpers zu schonen und nur langsam aufzuzehren beziehungsweise in einem Gleichgewicht zwischen Energieverbrauch- und Energiebereitstellung zu schwimmen. Um immer wieder Power nachproduzieren zu können, benötigt der Körper nicht nur Energieträger wie Glukose oder Fette, sondern vor allem Zeit. Diese bekommen die jeweiligen Muskeln vor allem dann, wenn sie gerade keine Arbeit verrichten, also zum Beispiel in den Streck- oder Rückholphasen des Schwimmzyklus. Es ist also wenig verwunderlich, dass auf den langen Strecken mit deutlich geringeren Frequenzen geschwommen wird als bei den Sprintern, bei denen die „Ruhephasen“ im Grunde keine Rolle spielen. Bei den Ausdauerspezialisten sind sie hingegen deutlich wichtiger, weswegen viele Spitzenschwimmer zum Beispiel beim Freistilschwimmen auf die Front-Quadrant-Technik bei der Armarbeit setzen. Dabei beginnt der neue Zug erst kurz bevor der Gegenarm in die Streckung übergeht. Dies ermöglicht lange, kraftvolle Züge mit ausgeprägt langen Rückholphasen. Doch dieses niedrigfrequente Schwimmen will gelernt sein und nicht jeder wird im Stile eines Florian Wellbrock mit 30er Frequenzen sein optimales Energiegleichgewicht erzielen können. Dazu lohnt es sich im Training durchaus einmal von außen bei den einzelnen Schwimmern zu messen, mit welchen Frequenzen sie welche Geschwindigkeiten realisieren können. Daraus lässt sich eine Frequenz-Geschwindigkeits-Kurve ermitteln, mit der man mit Blick auf die Zielstrecke nun überlegen kann, welche Frequenzen man bei den jeweiligen Sportlern trainiert. Dies gilt nicht nur für die Freistil-Asse sondern lässt sich bei allen Schwimmarten anwenden.
Energie sparen statt hohe Wellen schlagen
Auch bei den Top-Schwimmern gibt es dabei natürlich Ausnahmen. Italiens Olympiasieger Gregorio Paltrinieri ist einer der besten Schwimmer aller Zeiten auf den 1500m Freistil. Sein Stil sieht aber eher unruhig aus mit hohen Frequenzen und wild spritzendem Wasser. Ihm gelingt es damit zwar, sich immer wieder im Wasser in eine hohe Lage zu heben. Das würde aber wahrscheinlich kaum ein anderer so lange durchhalten. Dass Paltrinieri dennoch eine solche Ausdauer Power hat, liegt vor allem daran, dass er diese Art zu schwimmen über mittlerweile Jahrzehnte hinweg sehr sehr hart trainiert hat und sein vergleichsweise leicht gebauter Körper genau darauf konditioniert ist. Trotzdem ist dies von außen betrachtet sehr aufwendig. Denn mit jedem Wasserspritzer, mit jedem Klatschen des Arms auf die Oberfläche gibt der Körper Energie ans Wasser ab, die nicht für Vortrieb sorgt. Neben des richtigen Gleichgewichts zwischen Energieverbrauch und –bereitstellung spielt es gerade bei den langen Strecken nämlich auch eine wichtige Rolle, wie ich die Power einsetze. Es nützt mir recht wenig, wenn ich viel Energie erzeuge, diese aber durch ineffiziente Bewegungen oder hohen Wasserwiderstand verschwende. Gut erkennt man das bei den Brustschwimmern auf der 200m-Strecke. Marco Koch galt hier als einer der Vorreiter für eine beeindruckende Gleitlage. Der russische Weltrekordhalter Anton Chupkov hat dies noch perfektioniert. Bei den Brustschwimmern bildet sich in der Phase des Aufrichtens des Oberkörpers eine deutliche Welle. Um möglichst effizient zu schwimmen, gilt es nun in der Streckphase unter diese Welle zu kommen und diese mit dem Beinschlag hinter dem Körper zurückzulassen. Chupkov gelingt dies wie keinem Zweiten. Andere hingegen schleppen diese Welle mit der Hüfte oder sogar frontal vor sich mit. Eine Welle ist nichts anderes als bewegtes Wasser und bildet sich nicht allein. Dafür wird Energie benötigt, die unser Körper an sie abgibt. Umso länger die Welle also mitgeschleppt wird, umso mehr bremst sie die Schwimmbewegung, weswegen das Brustschwimmen bei vielen Athleten, die vielleicht sonst eher in den anderen Schwimmarten zu Hause sind, aussieht wie eine Stop-And-Go-Bewegung. Die Voraussetzungen, um dies zu vermeiden, sind ein gut trainiertes Timing der Arm- und Beinarbeit sowie eine hohe Beweglichkeit im Hüftbereich.
Taktisches Umschalten im Energiemix
Nicht nur dank seiner Technik lohnt es sich, mal ein Finale von Anton Chupkov anzuschauen sondern auch wegen dessen Renneinteilung. Bei den Weltmeisterschaften in Korea wendete er bei 100m noch an achter und damit letzter Stelle des Finals über die 200m Brust, nur um dann von hinten das Feld aufzupflügen. Die Renneinteilung ist ein weiterer immens wichtiger Punkt für die Mittel- und Langstrecken. Auch hier geht es wieder um den Energiehaushalt. Theoretisch gibt es zwei Wege: Entweder ich verteile die Energie gleichmäßig auf die gesamte Strecke. Das heißt, ich gebe von Beginn an Gas und vertraue darauf, dass ich hinten nicht einbreche. Oder ich schwimme das Rennen kontrollierter und verhaltener an, um dann zum Beispiel aus der letzten Wende heraus einen kräftigen Schlussspurt anzusetzen. Letzteres sieht man im Spitzenbereich mittlerweile immer öfter über die Strecken ab 200m. Die Gründe dafür dürften ebenfalls im Energiehaushalt liegen. Wer darauf trainiert ist, mit niedrigen Frequenzen hohe Geschwindigkeiten zu erzielen, kann variabler schwimmen und ist so am Ende des Rennens in der Lage, durch die Frequenzsteigerung noch einen Gang hoch zu schalten. Das muss auch nicht unbedingt eine höhere Frequenz der Arme sein, sondern kann auch über die Beinarbeit geschehen. Das lässt sich gerade bei den Freistilschwimmern oft beobachten. Während man zuvor weitgehen im Energiegleichgewicht geschwommen ist, geht es jetzt an die Grenzen. Durch die höheren Frequenzen verschieben sich im Körper die Prozesse zur Energiebereitstellung in Richtung der anaeroben ATP-Gewinnung (siehe auch S. 16 bis 18). Diese kann man vorher nur begrenzt nutzen, da sich ansonsten das lähmende Laktat anreichern und man im Rennen den Schwimmertod „sterben“ würde. Auf der letzten Bahn aber spielt das keine Rolle mehr, hier geht es darum, alle möglichen verbliebenen Energiereserven zu nutzen. Umso länger die Strecke wird, umso mehr Varianten gibt es, mit den Geschwindigkeiten zu taktieren. Dabei spielt es auch eine Rolle, ob ich nur eine bestimmte Zeit schwimmen möchte – dann sind Antritte mitten im Rennen eher kontraproduktiv – oder ob ich mich im Kampf um eine Platzierung mit einem bestimmten Gegner befinde. In dem Fall können Zwischenspurts oder plötzliche Steigerungen der Geschwindigkeit durchaus geeignete taktische Mittel sein. Gerade im Freiwasser lässt sich das immer wieder beobachten.
Wenden! Die unterschätzte Geheimwaffe
Etwas, das den Open Water Kämpfern erspart bleibt, sind die Wenden der Beckenschwimmer. Zum einen unterbrechen diese zwar immer wieder den vorherigen Energiefluss für einen plötzlichen anderen Bewegungsablauf. Zum anderen verstecken sich hier aber wichtige Sekundenbruchteile. Gerade Langstreckenliebhaber im Breitenbereich nutzen die Wenden gern als „Erholungspausen“. Damit sollte man vorsichtig sein. Was sich im Training einschleift, lässt sich im Wettkampf nur schwer abstellen. Dabei lohnt es sich gerade bei den langen Strecken einen Fokus auf die Wendenarbeit zu legen. Ein bis zwei Zehntel bei jeder Wende klingt nach nicht viel. In einem 1500m-Rennen summiert sich das dann aber zu einem Unterschied von mehreren Sekunden. Verstecken können sich diese Reserven in mehreren Bereichen. Zum einen ist da die Drehbewegung an sich. Egal in welcher Schwimmart: Wer agil die Richtung wechselt, hat so stets einen Vorteil gegenüber denjenigen, die sich behäbig drehen. Zum anderen bilden der Abstoß, die Unterwasserphase und der Übergang in die Schwimmbewegung wichtige Stellschrauben. Auch hier gilt es wieder möglichst viel Energie aus dem Abstoß in die Schwimmbewegung mitzunehmen. Nicht für jeden Schwimmer eignen sich dabei lange Tauchphasen. Das sollte man ganz individuell bestimmen. Eine wichtige Kenngröße dabei ist die Geschwindigkeit, mit der die Schwimmbewegung begonnen wird.
Effizienz will geübt sein
Schnelle Wenden, ein effizienter Stil und geschickte Renneinteilung – so etwas kommt natürlich nicht von heute auf morgen, sondern will gut trainiert sein. Womit wir wieder bei unserem Anfangsstatement wären: Die perfekte Technik gibt es nicht. Wie finde ich nun aber heraus, wie der optimale Stil für mich persönlich aussieht? Genau diesem Zweck dienen Übungen für das Wassergefühl, die ebenso wie das Kilometer schrubben bei jedem Ausdauerschwimmer zum festen Bestandteil des Trainings gehören sollten. Geeignet sind zum Beispiel Kontrastübungen, bei denen man mal bewusst „falsche“ Techniken einbaut, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich dies auf Wasserlage, Widerstand und das individuelle Empfinden beim Schwimmen auswirkt. Blättert doch einfach mal unsere zurückliegenden Ausgaben durch, da gibt es einige Übungen, die hierfür perfekt sind. Wie das Kontrasttraining zum Beispiel auf den Kraul-Armzug angewandt werden kann, erfahrt ihr in der Herbstausgabe 2017. Unser Autor Marco Wolf hat dafür einige tolle Drills zusammengestellt, die dabei helfen können. Also: Energie sparen statt verschwenden und effizient schwimmen statt durchs Wasser keulen – dann klappt‘s auch mit der Ausdauer Power.
Der komplette Artikel erschien erstmals in der Herbstausgabe 2019 des swimsportMagazine. Alle noch verfügbaren Ausgaben der Zeitschrift für den Schwimmsport können im großen swimsportMagazine-Paket bestellt werden. Zum Sonderpreis erwarten euch hier mehr als 1500 Seiten geballtes Schwimmwissen --> Das swimsportMagazine-Paket