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13. Januar 2025

Von Start bis Anschlag, von Kopf bis Fuß! Bei einem Sprint muss alles passen. Die 50m verzeihen einem Schwimmer keine Fehler. Da zählt am Ende jeder Zentimeter. Die körperlichen Aspekte und wie der Schwimmer diese möglichst vorteilhaft einsetzt, sind im Kampf um die letzten Prozente entscheidend. Wir schauen uns daher einmal an, was der Sprinter von heute mitbringen muss und wie sich im Wasser die Spreu vom Weizen trennt. Gibt es tatsächlich den „geborenen Sprinter“?

Egal welche in welcher Schwimmart, bei einem 50m-Sprint kommt es darauf an, sich in kürzester Zeit größtmöglich zu mobilisieren und seine gesamte Energie in diese maximal 30 Sekunden Belastungszeit zu stecken. Einige Schwimmer haben damit ein echtes Problem. Nach einen 50m-Rennen kommen sie aus dem Wasser und meinen, sie hätten eigentlich noch weiter schwimmen können. Nicht jeder ist in der Lage, so explosiv seine Leistung abzurufen, wie es bei der Kurzstrecke gefordert ist. Einige Athleten, besonders natürlich die Langstreckler unter uns, können deshalb nichts mit Sprints anfangen. Der Grund hierfür kann in der Anatomie unserer Muskeln liegen.

Schnelle Sprints dank schneller Muskeln

Ein Skelettmuskel besteht aus zahlreichen Muskelbündeln. Diese wiederum setzen sich aus einzelnen Muskelfasern zusammen. Hierbei ist zwischen drei verschiedene Arten von Muskelfasern zu differenzieren: ST-Fasern, FT-Fasern und FTO-Fasern. Sie unterscheiden sich in Aufbau, Energiebereitstellung und vor allem der Kontraktionsgeschwindigkeit.

ST-Faser steht für „Slow-Twitch-Faser“ und wie der Name bereits andeutet, sind dies eher die Sonntagsfahrer unter den Muskelfasern. Sie sprechen eher langsam auf Reize an und haben eine längere Kontraktionszeit. Dafür ermüden ST-Fasern nicht so schnell. Die in der Muskelfaser arbeitenden Muskelfibrillen sind umgeben von einer Vielzahl von Mitochondrien. Dies sind die Zellbestandteile, die aus Sauerstoff und Glucose den Treibstoff der Muskelzelle synthetisieren – ATP. Je mehr Mitochondrien in einer Muskelzelle vorhanden sind, desto mehr und schneller kann der Muskel den aus der Lunge aufgenommenen Sauerstoff zu Energie verarbeiten. Dafür muss aber auch genug Sauerstoff zur Verfügung stehen. Für Ausdauerspezialisten ist dieser Muskeltyp essentiell. Er arbeitet zwar langsamer, dafür aber sehr effektiv und hinterlässt dabei auch weniger Laktat im Blut.

Für den Sprinter sind diese „Streber-Fasern“ aber weniger interessant. Sprinter brauchen viel und vor allem schnell Energie in Form von Muskelkraft. Der beste Freund eines Sprinters ist deshalb die Fast-Twitch-Faser, kurz FT-Faser. Dieser Fasertyp wird auch „weiße“ Faser genannt, da sie weniger gut durchblutet werden. Sie sind in der Lage schnell zu kontrahieren und reagieren sehr unmittelbar auf Nerven-Reize. FT-Fasern besitzen weniger Mitochondrien, was bedeutet, dass sie im Vergleich zu den ST-Fasern schlechter Energie aerob nachproduzieren können. Sie tendieren stattdessen stark dazu, ihre Energie auf anaerobem Weg, also unter Sauerstoffmangel und Produktion von Laktat, zu gewinnen. Die schnellkräftigen Fasern sind bei einem Sprint also wie der Download-Ordner eines Computers – sehr schnell voll.

Zwischen ST- und FT-Fasern gibt es noch einen dritten Typ. Die FTO-Fasern (fast-twitch-oxidativ) bilden einen Intermediärtyp zwischen den beiden anderen. Sie lassen sich durch Training in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Die Struktur in diesen Muskelsträngen kann je nach Belastungsart also in Richtung Ausdauer, Mittelstrecke oder Sprint angepasst werden. Der Anteil von Muskelfasertypen ist genetisch vorbestimmt. Sprinter haben somit meist von Haus aus mehr FT-Fasern in ihrem Muskel als Marathonläufer. Durch gezieltes Training ist es laut einigen Experten möglich, FT- in ST-Fasern oder zumindest FTO-Fasern umzuwandeln. Aus einem guten 50m-Sprinter kann also durchaus noch ein passabler Langstreckenschwimmer werden. Einen Freiwasserschwimmer hingegen bekommt wohl man nicht mehr dazu die 25m-Challenge in Wuppertal zu gewinnen. An der Aussage „Sprinter werden geboren, Marathon-Läufer gemacht“ ist also durchaus etwas dran!

Lange Arme für großen Abdruck

Sprinter haben nicht nur schnelle Muskeln sondern auch große Körper. Man könnte nun durchaus meinen, dass wir damit nur ein Klischee bedienen. Aber: Die Betrachtung der Körpergrößen aller Medaillengewinner dieses Jahrhunderts bei FINA Weltmeisterschaften offenbart, dass da durchaus etwas dran ist. Im Vergleich zu den 1500m-Freistil-Schwimmern sind die Sprinter im Schnitt satte fünf Zentimeter größer. Mit einer durchschnittlichen Körperhöhe von knapp 1,94m bei den Herren gehören Freistil-Sprinter zu jenen, die bei einem Konzert nicht unbedingt in vorderster Reihe stehen müssen. Bei den Frauen ergibt sich ein ähnliches, wenn auch nicht so extremes Bild. Im Schnitt kommen die WM-Medaillengewinnerinnen der 50m Freistil auf 1,78m. Die Spezialistinnen auf der langen Kante sind im Schnitt 1,75m groß. Mit 1,82m Körperlänge ist die Sprintqueen Sarah Sjöström im wahrsten Sinne des Wortes die „größte“ Weltmeisterin der letzten neun WM-Ausgaben. Florent Manaudou ist mit 1,99m der Höchste bei den Herren. Doch wie so oft im Leben gilt auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Australierin Libby Lenton, die 2005 und 2007 Weltmeisterin über die 50m Freistil wurde, liegt mit 1,67m deutlich unter dem Durchschnitt. Der Russe Vladimir Morozov – Jahr für Jahr einer der schnellsten auf den kurzen Strecken - ist mit seinen 1,80m ebenfalls kein Riese. Die Größe ist also nicht unbedingt alles, jedoch ein gewichtiger Faktor. Gerade bei den Schlagschwimmarten, bringt die Größe zwei Vorteile mit sich: lange Arme und Masse. Die bei großen Menschen oft auch längeren Arme verschaffen dem Sprinter nicht nur einen längeren Zugweg, sie machen diesen auch für das Sprinten effektiver. Bei hohen Geschwindigkeiten strömt das Wasser nahe des Körpers stark mit. Drücken sich die Arme dann in diesem Wirbel ab, geht eine Menge Energie verloren. Je weiter die Arme vom Rumpf entfernt ziehen, desto unbewegter ist das Wasser. Mit beinahe gestreckten Armen hat der Schwimmer also mehr „Abdruck“ vom Wasser und verpasst sich zudem eine widerstandsgünstige hohe Lage. Da diese Art des Schwimmens natürlich sehr kraftintensiv ist, findet die Technik lediglich auf kurzen Distanzen Anwendung. Bei den längeren Strecken bietet sich unter Wasser wiederum der klassische „hohe Ellenbogen“ mit der Kraftübertragung deutlich näher am Körper an, weswegen mehr Variabilität bei der Armlänge möglich ist.

Masse ist Macht

Der zweite Aspekt, der oft mit einer größeren Körperhöhe einhergeht, ist das Gewicht. Das Wasser ist ein sehr träges Element. Ein leichter Körper wird hier deutlich stärker abgebremst, als einer mit größerer Masse. Beim Eintauchen ins Wasser nach dem Start wirkt diese „Schwungmasse“ dem Abbremsen im dichteren Medium entgegen. Das führt zu einer höheren Endgeschwindigkeit. Da ein Körper im Wasser ohnehin „leichter“ und der Auftrieb bei hohen Geschwindigkeiten sehr hoch ist, rücken die Nachteile eines erhöhten Körpergewichts im Wasser in den Hintergrund. Dies ist auch ein Grund warum Sprinter eher zu den kräftiger gebauten Schwimmern zählen. Besonders Brustschwimmer leben von diesem Massevorteil. Beim Tauchzug und der Brust-Grätsche bietet das Moment des Körpers einen Schwungvorteil, der dem Abbremsen im Wasser entgegenwirkt.

Das mehr an funktionaler Masse macht sich aber auch im Antrieb bemerkbar. Mit mehr Kraft ist der Schwimmer auch in der Lage mit jedem Zug für einen stärkeren Impuls zu sorgen. Das führt natürlich zu mehr Geschwindigkeit im Wasser. Zudem dienen die Muskeln auch als Widerlager. Im Rumpfbereich müssen die Muskeln für eine hohe Körperspannung sorgen, sodass die Energie von Armen und Beinen nicht einfach verpufft. Einfach gesagt: Je dicker die Arme sind, desto stärker muss also auch die Stützmuskulatur des Körpers arbeiten, um die Kraft am Ende auch in die richtige Richtung wirken zu lassen.

Dicke Schenkel für schnelle Zeiten

Unser letzter Punkt wird oft von einigen Athleten stiefmütterlich behandelt: die Beinarbeit. Auf den langen Kanten sieht man gern, dass die Beine lediglich hinterher gezogen werden und höchstens als Stabilisator dienen. Energetisch gesehen macht das aus Sicht vieler Sportwissenschaftler auch Sinn, da der Oberschenkel der größte Muskel im Körper ist und somit am meisten Sauerstoff verbraucht. Auf sehr kurzen Distanzen kann ein Sprinter aber enorm von kräftigen Stelzen profitieren. Zum einen haben die Beine und speziell die Oberschenkelmuskulatur eine wichtige Funktion bei den sogenannten azyklische Bewegungen. Gemeint sind dabei vor allem der Start und die Wende, die während des Wettkampfes im Gegensatz zur zyklischen Schwimmbewegung nur punktuell auftreten. Auf den langen Strecken gilt es, diese mit Blick auf die weiteren Energieleistungen, die der Körper vollbringen muss, so effizient wie möglich zu gestalten. Bei den Sprintern hingegen machen die azyklischen Elemente einen großen Teil des Rennens aus und spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Geschwindigkeitsentwicklung. Dementsprechend hilfreich ist es, durch kräftige Beinmuskulatur mit viel Abdruck direkt zu Beginn des Rennens viel Speed mit ins Wasser nehmen zu können. Zum anderen kann sich ein Sprinter dank starker Beine auch die Physik zunutze machen. Bei höheren Geschwindigkeiten bilden sich zwei Wellenberge entlang des Körpers: einer in Höhe des Kopfes und einer in Höhe der Beine. Je schneller der Athlet schwimmt, desto weiter entfernen sich die Berge voneinander. Das führt dazu, dass sich der zweite Wellenberg immer mehr in Richtung der Füße verschiebt. Mit dieser Wellenverschiebung ergeben sich bei hohen Geschwindigkeiten deutlich bessere Antriebsvoraussetzungen für die Beinarbeit. Das heißt, je schneller der Athlet schwimmt, desto wichtiger und effektiver wird seine Beinarbeit, wie wir schon im Artikel zur „Physik des Sprintens“ gelernt haben. Wer diesen Vorteil für sich zu nutzen weiß, hat am Ende die Nase vorn.

Also: Beinarbeit und Muskelmasse kann man beeinflussen, die Art der Muskelfaser und Körpergröße hingegen kaum. Es muss einiges zusammenkommen, um zum Sprinter „geboren“ zu sein. Niedrigere Geschwindigkeiten können durch eine Vielzahl unterschiedlich gestalteter Antriebskombinationen und körperlicher Voraussetzungen generiert werden. Je höher die Geschwindigkeit aber werden soll, desto limitierter wird hier der Spielraum. Man sieht also, dass es eine Menge Faktoren gibt, die bei einem Sprinter stimmen müssen. 

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