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06. Januar 2025

Es ist eines der großen Mysterien des Schwimmsports: „Schnelles Wasser“. Immer wieder sprechen Schwimmer davon, wenn sie in einem bestimmten Becken im Training besonders „gut rutschen“ oder im Wettkampf starke Zeiten abliefern. Passiert das Ganze nur im Kopf der Schwimmer oder gibt es tatsächlich Faktoren, die ein Schwimmbecken zum Rekordpool machen können?

Um die Antwort auf die Frage oben direkt vorweg zu nehmen: Ja! Es gibt bestimmte Merkmale, durch die es in dem einen Schwimmbecken leichter möglich ist, schnelle Zeiten zu schwimmen als in einem anderen. Das Ganze hat auch nichts mit Einbildung zu tun, sondern basiert auf einigen grundsätzlichen physikalischen Gegebenheiten. Die wohl wichtigste davon ist wohl die Reflexion von Wellen. Nicht nur Lichtwellen sondern auch mechanische Wellen, wie zum Beispiel die von Wasser, werden zurückgeworfen, wenn sie auf eine Oberfläche treffen. Und Schwimmer sorgen bekanntlich im Becken für einen ordentlichen Wellengang. Wenn nun die von einem Schwimmer erzeugten Wellen sich mit denen eines anderen Athleten überlagern und dann noch die von der Beckenwand reflektierten Wellen hinzukommen, dann haben wir es schon fast mit Open Water Verhältnissen zu tun. Im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte haben sich aber einige pfiffige Köpfe Maßnahmen einfallen lassen, um die Wellenbildung im Schwimmbecken zu vermeiden.

Wellenkillerleinen

Schon seit den frühen Tagen des Wettkampfschwimmens werden so zum Beispiel die einzelnen Bahnen durch Leinen getrennt. Eigentlich waren die nur dazu da, dass die Schwimmer sich beim Wettkampf nicht gegenseitig in die Quere kommen, doch bei den Olympischen Sommerspielen 1976 im kanadischen Montreal sorgte der Schwimmhersteller Malmsten mit seinen „Wave Killer“ Leinen für Furore und noch heute sind diese bei nahezu allen Schwimmwettkämpfen Standard. Jeder kennt sie: Auf einem dünnen Metallseil sind bewegliche radförmige Plastikelemente aufgezogen. Trifft nun eine Welle auf die Leine, schwappt sie nicht einfach drüber oder wird direkt zurückgeworden, sondern bringt die Rädchen zum Drehen. Die Energie der Welle geht so in die Bewegungsenergie der Leinenelemente über. Das Resultat sind weniger Wellen, die man vom Schwimmer auf der Nachbarbahn abbekommt.

Der Beckenrand

Doch nicht nur die Schwimmer auf der Nachbarbahn erzeugen Wellen, sondern wie bereits erwähnt auch die Reflexion der Wellen vom Beckenrand. In älteren Pools kann man das noch erleben: Wenn die Wasseroberfläche mehr als nur ein paar Zentimenter unter der Beckenkannte ist, dann schwappt einem das Wasser am Rand regelrecht wieder entgegen. Deswegen haben nahezu alle modernen Pools Überläufe, also die meist aus Plastik hergestellten Gitter am Beckenrand. Diese schlucken die Wellen, die sonst an der Wasseroberfläche von der Beckenwand zurückgeworfen werden würden.

Die Wassertiefe

Ein immens wichtiger Faktor zur Begrenzung der Überlagerung und Verstärkung von Wellen in Schwimmbecken ist die Pooltiefe. Diese muss bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften mindestens zwei Meter betragen. Der Grund ist relativ einfach: Je tiefer der Pool ist, umso länger dauert es, bis eine oben durch den Schwimmer erzeugte Welle den Beckenboden erreicht und von diesem wieder zurückgeworfen wird. Umso tiefer die Welle wandert, desto mehr Energie verliert sie zudem und erreicht den Boden dadurch vielleicht nicht einmal. Die Weltklasseathleten bemerkten dies zum ersten Mal so richtig bei den Olympischen Spielen 2008. Hier war der Pool drei Meter tief und nicht nur wegen der damals beginnenden Hightech-Ära sprachen viele von einem schnellen Becken. Bei den vorherigen Spielen 2004 in Athen betrug die Tiefe nur zwei Meter und dieser Unterschied war spürbar, ähnlich wie es zuletzt bei den Olympischen Spielen in Paris berichtet wurde. In Deutschland wird vor allem der Wettkampfpool in der Berliner Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE) als schnelles Becken bezeichnet. Auch hier dürfte die Wassertiefe eine Rolle spielen, denn diese beträgt wie mittlerweile auf Top-Niveau üblich drei Meter.

Der Faktor Kopf

Da stellt sich die Frage, warum macht man die Pools nicht noch tiefer. Zum einen, weil die Wellen ohnehin ab einer bestimmten Tiefe den Boden gar nicht mehr erreichen. Zum anderen können sich zu tiefe Pools negativ auf das subjektive Empfinden des Schwimmers auswirken. Durch die größere Entfernung zum Beckenboden sieht es für ihn so aus, als würde er sich langsamer fortbewegen. Vergleichen kann man diesen Effekt mit einem Flugzeug, das man vom Erdboden aus beobachtet. Obwohl dieses mehrere 100km/h schnell ist, sieht es so aus, als würde es gemächlich über den Himmel gleiten.

Der Faktor Kopf spielt bei der Frage nach schnellen Becken aber noch eine ganz andere Rolle. Im Berliner Becken schwimmen zum Beispiel die meisten auswärtigen Athleten vor allem bei Deutschen Meisterschaften, Jahrgangsmeisterschaften oder hochwertigen Meetings. Dadurch reisen sie natürlich auch besser vorbereitet zum Wettkampf, als wenn es sich um ein beliebiges Einladungsschwimmfest handelt. Ausgeruht und fit durch die gezielte Wettkampfvorbereitung ist es dann natürlich klar, dass sich der Körper im Wasser schneller und besser anfühlt. Genau zu diesem Zeitpunkt soll er das ja auch sein. Das liegt dann aber nicht am Wasser oder dem Schwimmbecken.

Die Umwälzanlage

Die wohl jüngste Erkenntnis beim Design von Wettkampfpools kam durch die Weltmeisterschaften 2013 in Barcelona. Hier berichteten Sportler von einer „Strömung“ im Becken und die Auswertung der Zwischenzeiten legte tatsächlich nahe, dass die Schwimmer in eine Richtung des Pools schneller und in die Gegenrichtung wiederum langsamer schwammen. Als Ursache wurde in den Medien die Umwälzanlage genannt, die das Wasser zum Filtern in den Pool hinein- und wieder abpumpt. Die Pool-Hersteller haben das Problem erkannt und gemeinsam mit dem Weltverband wurde ein System entwickelt, um vor den Wettkämpfen zu prüfen, ob es tatsächlich Strömungen im Becken gibt. Mittlerweile können die Düsen, über die das Wasser ins Becken einströmt, so reguliert werden, dass im Becken später keine signifikanten Strömungen mehr messbar sind.

Die Wassertemperatur

Doch nicht nur die Bewegungen im Wasser haben einen Einfluss auf die Leistungen sondern das Element selbst auch. Ein wichtiger Faktor für schnelles Wasser ist nämlich dessen Temperatur. Bei Wettkämpfen soll diese laut Weltverband zwischen 25 und 28°C liegen und das hat seinen Grund. Bei kälteren Temperaturen muss der Körper deutlich mehr Energie aufwenden, um seine Kerntemperatur aufrecht zu erhalten. Und diese Energie wird schließlich zum Schwimmen benötigt. Bei höheren Temperaturen besteht das Problem, dass der Körper schneller überhitzen kann und wir im Wasser deutlich stärker schwitzen. Der Vergleich von mehreren Studien, die der Frage nachgegangen sind, wie stark Schwimmer im Training schwitzen, hat gezeigt, dass Athleten in 29°C warmen Wasser mehr als doppelt so viel Schweiß abgeben wie in einem Pool mit einer Temperatur von 26°C. Ein immenser Unterschied bei einer vergleichsweise kleinen Schwankung von 3°C. Aber jeder Schwimmer wird es bestätigen, auch wenn es Außenstehenden wie Spinnerei vorkommt: Man spürt sofort jedes Grad Unterschied.

Schwimmen in Sirup

Ein weiterer Faktor, der oft im Zusammenhang mit schnellem Wasser genannt wird, ist dessen Zusammensetzung. Hier müssen wir aber wohl auf gefühlte Wahrheiten verweisen, denn Studien konnten bisher nicht belegen, dass Wasserhärte, mögliche Stoffe zur Wasserreinigung oder ähnliches einen Einfluss auf die Leistungen hätten. Eine amüsante Studie zu diesem Thema gab es 2004 in den USA. Chemiker der University of Minnesota wollten wissen, ob man in Sirup langsamer schwimmt als in normalem Wasser. Also dickten sie das Wasser in einem 25m-Becken mit 300 Kilogramm Guaran, einem Pflanzengummi, an. Das Resultat war eine klebrige Flüssigkeit, deutlich dichter als Wasser. In diesem „Sirup“ schwammen dann mehrere Athleten, sowohl mit leistungssportlichem Hintergrund als auch ohne. Zum Vergleich mussten sie natürlich auch in normalem Wasser ihre Bahnen ziehen. Die Erkenntnis: Egal ob Sirup oder Wasser, einen großen Einfluss auf die Zeiten hatte das nicht. Die Abweichungen lagen im gleichen Bereich, die auch bei normalen Wiederholungen in Wasser beobachtet werden konnten.

Also: „Schnelles Wasser“ gibt es nur bedingt, schnelle Schwimmbecken dafür aber sehr wohl. Wenn beim Bau eines Pools alle Faktoren beachtet werden, um Wellen und Strömungen zu vermeiden, dann kann das bei den dort erzielten Leistungen einen deutlichen Unterschied machen. 

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