Schwimmen gilt offiziell als Einzelsportart. Einzelsport. Alleine das Wort suggeriert doch schon Egoismus, Einsamkeit und Ungeselligkeit. Man verbindet damit Sportler, die Selbstgespräche führen und nur über ihre eigenen Witze lachen. All diese Assoziationen stehen so stark im Widerspruch zum Schwimmsport wie Léon Marchand zum Ausscheiden im Vorlauf. Es fällt uns schwer, die Worte „schwimmen“ und „alleine“ in einem Satz unterzubringen. Hier gibt’s ein paar eindeutigen Indizien dafür, dass unsere Sport klar der Rubrik Mannschaftssport eingeordnet werden muss:
1. Gemeinsam einsam
Es ist ja nicht so, dass der klassische Schwimmer die Möglichkeit hat, in einer idyllischen Atmosphäre, ganz für sich alleine, mit mehr Platz als ein Fisch im Meer, seine Bahnen zu schwimmen. Im Gegenteil: Der klassische Schwimmer strahlt vor Freude, wenn er mal nicht die Füße des Vordermanns verkosten muss oder durch die kitzelnden Hände des Hintermanns zu neuen Höchstleistungen getrieben wird. Im Trainingsbecken ist man nie alleine. Auch wenn man mit dem Kopf im Wasser nicht aktiv den Kontakt zu den Teamkollegen hat oder sucht - man bekommt ihn immer! Nach einer absolvierten Übung ist man glücklich, sich trotz des Gedränges am Startblock festhalten zu dürfen. Akzeptabel ist auch die Leine. Ab einer gewissen Anzahl von Haltsuchenden ist diese aber tabu. So kommt es oft dazu, dass man nicht einmal in der kurzen Pause verschnaufen kann und stattdessen panisch mit den Füßen strampelt, nur weil die Mitschwimmer den Platz klauen. Das soll „Einzelsport“ sein?
2. Schwimmen ist wie Fußball - nur anders
Als Schwimmer geht es zwar immer um die individuelle Leistung, aber nicht immer um das Individuum. Der beste Beweis dafür ist der Mannschaftswettkampf. Hierbei entscheidet die Gesamtpunktzahl, die sich aus den einzelnen Zeiten ergibt, über die Platzierung. Also nicht ausschließlich die Leistung des Einzelnen. Das ist bei einem klassischen Mannschaftssport wie Fußball nicht anders: Es ist super, wenn Manuel Neuer alle Bälle hält, hilft aber nicht, wenn Thomas Müller keinen versenkt. Genauso klasse ist es, wenn Schwimmerin Zita ihre Bestzeit über 100m Schmetterling unterbieten kann, Jasmin aber die 400m Freistil in den Sand setzt. Und wenn man Schwimmen schon mit Fußball vergleichen kann, wo bitte ist dann die Grenze zum Mannschaftssport?
3. Teamgeist auf jedem Level
Bei den meisten Wettkämpfen oder Meisterschaften schwimmt man zwar alleine um den Sieg, gewinnt aber dennoch gemeinsam. Man schwimmt für seine Mannschaft, seinen Verein oder sein Land. Gerade im Schwimmsport existiert ein „Wir“-Gefühl, das so manche Mannschaftssportart in den Schatten stellen kann. Neben den Schwimmpartnern hat jeder Athlet zudem das Team drumherum, das den Mannschaftsgedanken um einen weiteren Faktor verstärkt: Trainer, Freunde, Familie, Physiotherapeuten, usw. - Sie alle gehören dazu! Niemand schwimmt alleine - das eigene Team schwimmt immer auf verschiedenen Wegen mit. Es verausgabt sich und hyperventiliert am Beckenrand fast mehr als wir im Wasser. Es unterstützt, motiviert, fühlt mit und gibt uns das Gefühl, ein Teil davon zu sein. Manchmal vergießt unser Team sogar Tränen für uns, die wir trocknen müssen - so wie Paul Biedermann, der in Rio seine fürsorgliche Ader zeigte.
4. Eine Team, eine Einheit
Würde aus jedem Schwimmvereine zwei Schwimmer herausgreifen und sie auf einem riesigen Areal verteilen, durchmischen und aufstellen - man könnte sie innerhalb von Sekunden wie beim Memory wieder klar einander zuordnen. Es ist wie das Phänomen, das bei älteren Pärchen oft auftritt: Sie tragen stets identische Kleidung. Je mehr Zeit man miteinander verbringt, desto ähnlicher wird man sich - auch optisch. Wenn man von der vereinseinheitlichen Kleidung, wie z.B. den Badekappen mal absieht, kann man jeden Schwimmer anhand seiner Trainingskleidung trotzdem irgendwie seinem Verein zuordnen. „Ah, guck mal Paul, die Blubberblasen 1920 kommen ins Becken. Alle haben diese Kreise auf Badeanzug und Jammer und machen wie wild Kaugummiblasen!“ „Ja stimmt! Und dahinten nähern sich die SG Waterlights. Alle tragen diese grellen Neonfarben.“ „Kommt jetzt Jungs, die neue Kollektion ist auf dem Markt. Es gibt wieder komplett schwarze Speedos!“, rief ihnen ein anderes SC Death Butterfly Mitglied zu. Welcher Verein kann sich diesen Schuh nicht anziehen?
5. Mitgehangen, mitgefangen
Schwimmer werden zwar individuell gefördert und trainiert, sind aber dennoch stets vom Rest der Gruppe abhängig. Ein Schwimmer unterbricht den Trainer - alle Schwimmer hängen zur Strafe eine Bahn ran. Ein Schwimmer schummelt beim Warm-Up - alle Schwimmer absolvieren 20 weitere Liegestütze. Ein Schwimmer kommt zu spät - alle Schwimmer krauchen im Entengang um das Becken. Diese Kausalkette lässt sich beliebig fortsetzen, aber die Botschaft dürfte bereits jetzt klar sein.
6. Schwimmbar als Schwimmpaar
Wären Schwimmer egoistische Einzelgänger, wäre es ihnen kaum möglich, diese kniffligen Paarübungen zu meistern, die Trainer gerne ausgeführt haben wollen. Wer musste nicht schon einmal händchenhaltend an seinen Trainingspartner geknotet 100m Freistil schwimmen und dabei koordinative Kunststücke vollbringen? Welcher Schwimmsportler durfte nicht schon gefühlte 30min die Luft anhalten, während er unter der gesamten Gruppe durchgetaucht ist, um anschließend keuchend und japsend die Menschenkette anzuführen?
7. Das Beste kommt zum Schluss: Staffelspaß
Was fordert mehr Zusammenhalt als eine Staffel? Und was macht vor allem mehr Spaß? Zeigt nicht alleine die Tatsache, dass das Wort „Staffel“ Schwimmer verzückt quietschen lässt, wie wenig Einzelsportler in einem Schwimmer steckt? Jedes Trainingslager und jede Saison wird mit einer Staffel abgeschlossen. Jeder Schwimmer möchte Teil einer Staffel werden - egal von welcher. Schwimmer würden sogar ihre schlechteste Lage schwimmen, nur um bei einer Staffel dabei zu sein. Bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften ist die Bierstaffel das Highlight. Die Staffeln und Spaßstaffeln mancher Wettkämpfe haben mehr Anmeldungen, als die 50m Freistil. Staffeln erfordern gute Absprachen, die Bereitschaft, für das Team alles zu geben und zu zeigen, wie gut man sich kennt. Gute Staffelschwimmer sind gute Teamsportler.
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