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21. Oktober 2024

Die Beine brennen, die Arme machen nicht mehr so mit, wie gewollt und alles fällt zehnmal schwerer als noch zu Beginn des Rennens. Jeder Schwimmer weiß, wie sich die letzten 15m eines 100m Freistil Rennens anfühlen. Schwimmer, die sich auf der ersten Bahn zu viel vornehmen und zu schnell angehen, stehen am Ende regelrecht im Wasser. Der Laktatspiegel im Blut steigt blitzartig an und schießt in die Muskeln, was sich dann in einem extremen Leistungsabfall bemerkbar macht. Der Schwimmer nennt dies auch: blau werden, fest gehen, sauer werden oder auch einfach: „sterben“.

Vor allem im Leistungssport ist das Wort Laktat ein omnipräsenter Begriff. Bei den Fußballern der ersten Liga gehören Laktattests als Standortbestimmung zu Beginn eines jeden Trainingsjahres zum Standard. Bei den Ausdauersportarten wie im Radfahren, in der Leichtathletik, aber natürlich auch im Schwimmen oder in Kampfsportarten dienen die Tests schon seit Jahrzehnten zur Steuerung des Trainings. Doch was verrät Laktat über den Zustand eines Sportlers und wie wirkt es sich auf den Körper aus?

Frank Schiller vom Institut für Angewandte Sportwissenschaften in Leipzig erläutert: „Laktat ist ein Salz der Milchsäure und ein Abbauprodukt, dass in der Muskelzelle entsteht.“ Wenn beim Sport Zucker zu Energie verbrannt wird, benötigen die Zellen dazu Sauerstoff. Fehlt dieser, weil die Belastung einfach zu hoch ist, um genügend Sauerstoff aufzunehmen, behilft sich der Körper mit einem zweiten Weg, Energie zu gewinnen. Dieser ist ähnlich wie eine Tafel Schokolade: für den Moment zufriedenstellend, doch kann hinterher negativ ins Gewicht schlagen. In einem Stoffwechselprozess entsteht die Säure als noch immer energiereiches Abfallprodukt, indem der Zucker nicht wie auf dem ersten Weg vollständig verbrannt wird, da es ja an Sauerstoff mangelt, sondern lediglich zwischenverarbeitet wird. Dabei wird immerhin zumindest ein Teil der Energie freigesetzt.

„Das Problem ist, dass sich Laktat in hoher Konzentration stark negativ auf die Muskelkontraktion niederschlägt. Es schwächt zuerst die Fein- und später auch die Grobkoordination“, stellt Schiller klar. „Arbeitet der Schwimmer dann immer weiter in diesem zu hohen Belastungsbereich, sammelt sich immer mehr Laktat im Körper an, bis man dann an einen Punkt kommt, an dem es einfach nicht mehr weiter geht. Das sieht man dann, wenn der Sportler ‚blau‘ wird“, erklärt er mit schmunzelnder Miene.

Wie misst man Laktat und was sind hohe Werte?

Es gibt verschiedene Methoden der Messung, aber die klassische Variante über die Abnahme am Ohrläppchen hat sich über die Jahre als die praktikabelste herausgestellt. Dabei wird nach dem Anstechen des Ohrläppchens ein kleiner Tropfen Blut abgezapft und auf einen Messstreifen gegeben. Dieser wird dann durch ein spezielles Gerät ausgewertet. Angegeben wird die Laktatkonzentration in mmol/l, also welche Menge an Laktat in einem Liter Blut zu messen ist. „Im Judo zum Beispiel erreichen die Sportler häufig Werte über 20 mmol/l. Dabei gehen sie regelmäßig an die Kotzgrenze“, so Schiller. Im Schwimmen unterscheiden sich die Höchstwerte nicht allzu sehr. Trainer bestätigen hier ebenfalls Maximalwerte von 20 bis 23mmol/l. Das Entscheidende ist dabei, welche Muskelgruppen wie stark an der Belastung beteiligt sind. So machen die Beine als größter Muskel einen Gutteil der Laktatproduktion des Körpers aus. Bahnradsprinter Robert Förstemann zum Beispiel (in Fachkreisen wegen seines Beinumfangs treffend auch „Quadzilla“ genannt) erreicht laut eigenen Angaben Laktat-Werte von bis zu 23 mmol/l. Aber auch der Muskeltyp, Trainingsstand und die Länge der Belastung sind entscheidend für den Maximal-Laktat.

Was sagt Laktat über meine Form aus?

In der Regel erfolgen Laktattests im Rahmen eines Stufentests. In diesem schwimmen die Sportler eine gleiche Strecke mit von Mal zu Mal gesteigerter Geschwindigkeit. Eines der üblichsten Verfahren ist der 8x200m bzw. für die Sprinter ein 8x100m Test in der individuellen Hauptschwimmart. Bei Open Water Athleten können die Tests auch gut und gern mal 8x1000m betragen. Nach der Messung des Ruhelaktats, der in der Regel zwischen 0,5 und 1,5mmol/l liegt, schwimmt man die ersten Durchgänge im niedrigen Grundlagen-Ausdauerbereich, also der Geschwindigkeit, die Läufer auch als „Sprech-Tempo“ bezeichnen. Von da an wird die Belastung gesteigert, bis der Schwimmer im letzten Durchgang mit maximaler Geschwindigkeit schwimmt. 

Die Abnahmen erfolgen jeweils zwischen den Stufen und nach dem Test. Durch die gewonnenen Werte ergibt sich dann eine Laktatkurve, die zeigt, wie stark der Anstieg des Milchsäure-Spiegels zwischen den Stufen ist und wie schnell er nach der letzten wieder auf das Normalniveau kommt. Die Kurve lässt dann im Idealfall Schlüsse über den individuellen Trainingszustand zu. Besonders interessant für die Trainer ist in der Regel die Geschwindigkeit des Sportlers bei einem Wert von 4mmol/l, der sogenannten aerob-anaeroben Schwelle. Unter dieser Schwelle ist der Sportler in der Lage das angefallene Laktat direkt wieder zu verarbeiten. Die Schwelle, auch „Steady State“ genannt, kennzeichnet also die Zeit, die der Schwimmer gerade noch länger weiter schwimmen könnte ohne zu viel Laktat anzuhäufen.

Mit ausdauerndem Training kann man seine Leistung an der 4 mmol/l-Schwelle natürlich steigern. Besonders effektiv, so bestätigt uns der Trainingswissenschaftler, sei hierfür das Training im Grundlagenbereich, also einer Schwimmbelastung bis 3 mmol/l. Mit diesem steigert man die sogenannten aeroben Kapazitäten, also unter anderem die Verbesserung der Lungenaktivität, eine Vermehrung roter Blutkörperchen im Blut sowie die Vermehrung und Vergrößerung der Mitochondrien in den Muskelzellen. Dies führt dazu dass die Muskeln in der gleichen Zeit mehr Sauerstoff zur Verfügung gestellt bekommen können, also bei Belastung erst später auf die Produktion von Laktat zurückgreifen müssen.

„Laktat lernen“

Ein jeder Schwimmer, egal wie ausdauernd er ist, ist ab einem bestimmten Tempo gezwungen eine größere Menge Milchsäure zu produzieren. Zumindest wenn er versucht seine Leistung an das Maximum zu bringen. „Man kann aber lernen, mit Laktat umzugehen“, stellt Frank Schiller klar. Dazu gebe es geeignete Methoden: „Wenn man häufig im laktaziden Bereich, also sehr intensiv trainiert, erhöht man seine Laktatverträglichkeit, kann also mehr Laktat tolerieren.“ Besonders effektiv, so erwähnt er, sei das sogenannte Intervall-Training, also kürzere, dafür aber recht intensive Belastungen, wie zum Beispiel schnelle 100er-Serien. Der Körper gewöhne sich so stückweise an eine größere Menge an Laktat im Blut.

Die Laktatverträglichkeit ist das eine, Schiller merkt jedoch an: „Wenn man immer in diesem ‚sauren‘ Bereich trainiert, geht einem relativ schnell das Grundlagenausdauer-Niveau futsch.“ Es ist also immer eine Schere zwischen einem guten Ausdauer-Niveau und einer hohen Laktat-Verträglichkeit. Ersteres ist im Übrigen auch entscheidend für einen schnelleren Abbau des Abfallprodukts, damit man dann am Nachmittag im Finale nicht noch mit dem Laktat-Rest vom Vormittag zu tun hat. Das wichtigste ist daher ein vernünftiger Aufbau zu Höhepunkt hin, bei dem man dann eine möglichst hohe Laktat-Verträglichkeit haben sollte, jedoch noch gerade genug Grundlage für die Regeneration. Je nach Streckenlänge und Typ können sich so recht große Unterschiede im Trainingsaufbau herauskristallisieren.

Wann lohnt es sich Laktattests ins Training einzubauen?

Um festzustellen, in welchem Belastungs-Bereich sich der Sportler bewegt, empfiehlt es sich für jeden ambitionierteren Wettkampfschwimmer regelmäßig Abnahmen im Training einzusetzen. „Besonders motivierte Sportler trainieren häufig zu intensiv, sodass sie im Ausdauerbereich irgendwann auf der Stelle treten und sich nicht weiter steigern“, so Schiller. Wichtiger Hinweis für die Trainer da draußen: Man muss zudem bei Minderjährigen vorher die Genehmigung der Eltern einholen, weil der Stich ins Ohr streng genommen eine Körperverletzung darstellt. Da junge Sportler aber erst ab dem mittleren bis späten Jugendalter nennenswerte Mengen Laktat produzieren, muss man ohnehin zunächst abwägen, ab wann man mit den Tests beim Nachwuchs beginnt. 

In jedem Fall lohnt es sich durchaus, sich früher oder später mit dem Thema auseinanderzusetzen. Getreu nach dem Motto „Sauer macht schnell“, geht es im Leistungssport nicht ohne die letzten Prozente, die das Laktat erst möglich macht.

Dieser Artikel erschien erstmals in der Frühjahresausgabe 2018 des swimsportMagazine. Alle noch verfügbaren Ausgaben der Zeitschrift für den Schwimmsport können im großen swimsportMagazine-Paket bestellt werden. Zum Sonderpreis erwarten euch hier mehr als 1500 Seiten geballtes Schwimmwissen --> Das swimsportMagazine-Paket