Wenn dieser Tage die Jugend der Welt empfängt, ist das keine Premiere. Frankreichs Hauptstadt trägt zum dritten Mal die Olympischen Sommerspiele der Neuzeit aus. Schon die zweite Ausgabe fand 1900 an der Seine statt, im Rahmen der damaligen Weltausstellung. Nur 24 Jahre später gastierte Olympia erneut in Paris. Was allen Spielen gleich war und ist: Schwimmen stand auf dem Wettkampf-Programm. Höchst unterschiedlich, wie Jörg Wunram herausgefunden hat.
Am Samstag ist es soweit: Dann ertönt in der Pariser La Défense Arena das erste Startsignal für die insgesamt 35 Schwimmwettbewerbe im Becken. Der Austragungsort ist ein umgebautes Rugby-Stadion mit verschließbarem Dach. Bis zum 11. August wetteifern in 28 Sportarten rund 10.500 Sportlerinnen und Sportler aus mehr als 200 Nationen in Paris um Gold, Silber, Bronze und Bestleistungen. Auch in der Seine: Die Freiwasser-Entscheidungen fallen über 10 Kilometer am 8. und 9. August. Start und Ziel befinden sich am Pont Alexandre III, geschwommen wird im hoffentlich halbwegs sauberen und strömungsarmen Wasser des Flusses. Ein ernsthaftes Problem.
Ein Testwettkampf für Olympia im vergangenen Jahr fiel dem schmutzigen Wasser zum Opfer. „In diesem Sommer wird es besser sein“, verspricht Pierre Rabadan. Der Mann ist bei der Stadt Paris verantwortlich für die Olympischen Spiele. „Wir haben viel unternommen.“ Unter anderem wurde ein riesiges Rückhaltebecken für Regenwasser gebaut. 1,4 Milliarden Euro hat das gekostet. So soll es nach und nach durch Filter geklärt in die Seine zurückfließen. Ob das klappt? Frankreichs Präsident Emanuel Macron ist zuversichtlich. „Ich werde noch vor den Spielen in der Seine schwimmen“, kündigte er an. Doch daraus wurde nichts - stattdessen sprang Paris' Bürgermeisterin Anne Hidalgo vor wenigen Tagen in die Fluten. Bleibt die Hoffnung, dass 100 Jahre nach Olympia 1924 das Wasser okay sein wird.
Rückblende: Bei den Spielen 1924 stehen keine langen Strecken im Open Water auf dem Programm, sehr wohl aber Schwimmwettbewerbe im Piscine des Tourelles. Ingesamt elf Entscheidungen, fünf bei den Frauen und sechs bei den Männern. Das Piscine des Tourelles gilt als eines der modernsten Schwimmbäder der damaligen Zeit. Die deutschen Meister wie der Magdeburger Brustschwimmer Erich „Ete“ Rademacher, Friedel Berges aus Darmstadt (400m Freistil), der Leipziger Herbert Heinrich (100m Freistil) oder Anni Rehborn (100m Freistil und Rücken) hätten durchaus Chancen auf gute Platzierungen gehabt. Doch deutsche Starter dürfen 1924 nicht an den Spielen teilnehmen. Eine Folge des 1. Weltkriegs.
Zum Superstar der Schwimmentscheidungen avanciert kein Geringerer als der US-Boy Johnny Weissmüller. Jener Sportler, der die 100m Freistil schon 1922 unter einer Minute in 58,6 Sekunden zurücklegt. Dreimal holt der spätere Tarzan-Darsteller in Paris Gold. Die 100m Freistil gewinnt der Amerikaner in glatt 59 Sekunden. Ein olympischer Rekord. Hinzukommen die Titel über 400m Freistil und in der 4 x 200m Freistilstaffel.
Bild: Johnny Weissmüller über die 400m Freistil bei den Olympischen Spielen 1924
Auch bei den Frauen dominieren die USA. Mit Ethel Lackie (Gold über 100m Freistil und 4 x 100m Freistil) und der legendären Gertrud Ederle (Gold 4 x 100m und zweimal Bronze 100 und 400m Freistil) stellen die Vereinigten Staaten die erfolgreichsten Schwimmerinnen. Zum Vergleich: Ethel Lackie benötigt ihrerzeit für die 100m Freistil 1:12,4 Minuten. Heute liegt der Weltrekord bei 51,71 Sekunden. Gehalten von der Schwedin Sarah Sjöström. Kleine Randnotiz: Zwei Jahre nach den Olympischen Spielen in der französischen Hauptstadt macht Gertrud Ederle erneut Schlagzeilen. Als erste Frau durchquert sie 1926 den Ärmelkanal in gut 14einhalb Stunden. Von den elf Entscheidungen der Schwimmwettbewerbe in Paris gewinnt die US-Mannschaft neun. Mit 19 Medaillen ist das Team die Nummer eins, vor Großbritannien und Australien.
Ähnlich erfolgreich sind die US-Schwimmerinnen- und Schwimmer auch im Jahr 1900. Auf ausdrücklichen Wunsch von Pierre de Coubertin (Erfinder von Olympia der Neuzeit) finden die zweiten Spiele der Neuzeit in Paris statt. Im Rahmen der Weltausstellung. Die sportlichen Wettbewerbe verteilen sich über sage und schreibe fünf Monate. Von Mai bis Ende Oktober. Die Schwimmentscheidungen fallen vom 11. und 19. August im offenen Wasser in einem Flutbecken der Seine. Immerhin 76 Schwimmer aus zwölf Ländern sind am Start. Schwimmerinnen dürfen 1900 noch nicht teilnehmen. Das wird erst 12 Jahre später erstmals der Fall sein.
Bei den Männern holt ein Bremer Rückenschwimmer für das Deutsche Reich gleich zwei Olympiasiege. Ernst Hoppenberg schlägt über 200m Rücken nach 2 Minuten 47 als erster an. „Was für eine Zeit!“, schwärmt Rica Reinisch, die dreifache Olympiasiegerin im Rückenschwimmen von 1980 in Moskau. Sie hat sich in ihrer aktiven Zeit mit der Geschichte ihrer Disziplin beschäftigt und ist dabei auf den fast vergessenen Hoppenberg gestoßen. „Der Bremer war sehr erfolgreich und vielseitig“, erzählt Reinisch. „Denn im 200m-Mannschaftsschwimmen belegt Hoppenberg mit seinen Teamkollegen Max Hainle (Dortmund), Max Schöne, Herbert von Petersdorff (beide Berlin) und Julius Frey (Stuttgart) ebenfalls den ersten Platz.“
Etwas kurios aus heutiger Sicht: Das Quintett bekommt dafür keine goldene, sondern eine silberne Medaillen. Erst bei den Spielen 1904 in St. Louis gibt es für die Siegerinnen und Sieger Gold. Wie im Jahr 1900 überhaupt noch zum Teil recht spezielle Schwimmwettbewerbe existieren. Hindernisschwimmen, Unterwasserschwimmen oder die Langstrecke über 4.000 Meter. Diese Strecke gewinnt übrigens der Brite John Arthur Jarvis, als erster und einziger.
Bild: Auch 1900 wurde bei den Olympischen Spielen in der Seine geschwommen.
Sporthistorisch auch dies: Nach 1900, 1924 und jetzt 2024 trägt Paris die Spiele schon zum dritten Mal aus. Das hat es bislang noch nicht gegeben. Aber wie es in der Welt des Sports eben ist. Rekorde sind nicht für die Ewigkeit. Im Jahr 2028 gastieren die Spiele nach 1932 und 1984 in Los Angeles. Dann auch zum dritten Mal.
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