(18.04.2021) Die Olympia-Qualifikation der deutschen Schwimmer neigt sich dem Ende zu und sie war - wie so oft, wenn es um Startplätze bei internationalen Events geht - auch geprägt von so manchem Drama. Den Athleten, die aufgrund widriger Umstände die Plätze im Team für Tokio verpasst haben, macht Bundestrainer Bernd Berkhahn nun Hoffnungen auf Ausnahmeregelungen.
„Wir setzen uns zusammen und gucken, ob wir Einzelfalllösungen schaffen können," erklärte der Magdeburger Coach mit Blick unter anderem auf Athleten, die das Qualifikationsevent aufgrund von Corona-Infektionen verpasst haben. So musste Angelina Köhler nach einem positiven Test zwei Tage vor Beginn des Wettkampfes auf die Reise nach Berlin verzichten.
Die Schwimmerin aus Hannover lag bis dahin aussichtsreich im Kampf um die Plätze in der deutschen Lagenstaffel, wurde dann aber aus dem Quartett für Tokio verdrängt, ohne die Chance zu haben, sich selbst noch einmal zu beweisen. Auch ihr Teamkollege Sven Schwarz konnte aufgrund einer Corona-Infektion nicht in Berlin starten. Er galt als Kandidat für Olympiatickets auf den langen Kraulstrecken.
Ramon Klenz ist beim Quali-Event in der Bundeshauptstadt zwar am am Start, doch auch bei ihm war es dramatisch: Unmittelbar vor dem Wettkampf war der in Berlin trainierende Leipziger am Donnerstag in einen Auffahrunfall verwickelt. Mit Schleudertrauma stellte er sich zwei Tage später dem Rennen im Alleingang gegen die Uhr über seine Paradestrecke 200m Schmetterling. Trotz lautstarker Anfeuerung seiner Kaderkollegen schlug Klenz, der im Januar ebenfalls eine unfreiwillige Corona-Pause einlegen musste, in 1:56,64 Minuten nur 3,4 Zehntel über der Olympianorm an.
Angesichts der starken Leistung trotz widriger Umstände sprach sich anschließend auch Sarah Köhler, die nicht nur Spitzenschwimmerin sondern auch Athletensprecherin im DSV ist, dafür aus, großzügig zu entscheiden. "Ich ziehe meinen Hut vor Ramon, mit dieser Vorgeschichte so eine Leistung ins Becken zu bringen", erklärte sie. Es sei zwar schwierig eine Norm aufzuweichen. "Persönlich für ihn hoffe ich es aber natürlich." Am Ende liege die Entscheidung aber beim Deutschen Olympischen Sportbund, weist Köhler hin.
Mit Blick auf den DOSB meint auch Teamchef Bernd Berkhahn: "Ich bin mir sicher, dass der DOSB an einigen Stellen kulant ist, denn in anderen Sportarten ist es noch schlimmer, und da werden noch mehr Zugeständnisse gemacht". UPDATE: Der Verband weist darauf hin, "dass es sich hier um eine Einschätzung des Umgangs mit der von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Sportler*innen im Allgemeinen handelt." Eine Aufweichung der Nominierungskriterien werde damit nicht gefordert.
Eine Ausnahmenominierung für Ramon Klenz wäre nach derzeitigem Stand ohnehin äußerst schwierig: Um bei den Olympischen Spielen über eine Strecke zwei Athleten einer Nation an den Start bringen zu können, müssen beide die international A-Norm erreicht haben. Über die 200m Schmetterling gelang das dem bereits qualifizierten Leipziger David Thomasberger in 1:55,04 Minuten. Klenz blieb mit seiner Leistung vom Sonntag allerdings haarscharf über der A-Norm, die über die 200m Schmetterling bei 1:56,48 Minuten steht. Damit ist eine Olympia-Nominierung beider Athleten für die 200m Schmetterling aktuell schlicht nicht möglich.
UPDATE: Um Klenz die Möglichkeit zu geben, sich noch einmal zu beweisen, wird ihm am heutigen Nachmittag ein erneutes Rennen im Alleingang gegen die Uhr ermöglicht. Das teilte der DSV am Sonntagvormittag mit. Selbst wenn es hier nicht klappt, bleibt Klenz immer noch die Teilnahme an der Schwimm-Europameisterschaft im Mai. Für die EM ist er dank seiner gestrigen Leistungen bereits qualifiziert.
Ähnlich sieht es bei Angelina Köhler aus, die im Qualifikationszeitraum über ihre Paradestrecke 100m Schmetterling bereits 58,63 Sekunden schnell war und damit die EM-Norm unterbot. In ihrem Fall würden die internationalen Regeln sogar die direkte Nominierung für Tokio ermöglichen, da sie bereits bei den Swim Open in Schweden im April 2019 in 57,85 Sekunden die A-Norm erreicht hatte. Der internationale Qualifikationszeitraum für Tokio begann rückwirkend zum 1. März 2019, damit läge Köhler hier im vorgegebenen Zeitfenster.
Ausnahmeregelungen könnten auch für die Staffelabsicherung geschaffen werden. Der Deutsche Schwimm-Verband kann für Tokio bis zu zwölf reine Staffelschwimmer (“Relay-Only Athletes”) melden. Aktuell ist dieses Kontingent mit Blick auf die bereits für Tokio qualifizierten Athleten nicht ausgeschöpft. Derzeit sind acht Athleten ausschließlich für Staffeln auf Kurs in Richtung Tokio. Sollte man Athleten auf Basis dieser Regelung nominieren, müssten sie entweder in Vorlauf oder Finale auch tatsächlich in der Staffel starten, denn es ist vorgeschrieben, dass die “Relay-Only Athletes” bei den Spielen mindestens einmal antreten müssen. Damit soll verhindert werden, dass Schwimmer für Staffeln nominiert werden, aber dann letztlich keinen einzigen Einsatz bei Olympia erhalten und so nur unnötig das Teilnehmerfeld aufblähen.
Man sieht: Die Olympia-Qualifikation ist fast zu Ende, doch die Frage, welche Schwimmer im Team für Tokio stehen werden, bleibt weiter spannend. Zwar kündigte Team-Coach Hannes Vitense, der gemeinsam mit Bernd Berkhahn die Bundestrainer-Doppelspitze bildet, an, man werde dem DOSB recht bald Nominierungsvorschläge unterbreiten. Allerdings war dieses Statement vor Beginn der Wettkämpfe mit all ihren Dramen. Erst zwischen Ende Mai und Anfang Juli will der DOSB offiziell die Olympia-Teilnehmer verkünden. Es bleibt abzuwarten, welche Schwimmer dann mit dabei sein werden.
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