(12.08.2013) Eine Strömung im Becken könnte die Ergebnisse der Weltmeisterschaften in Barcelona beeinflusst haben. Diese Theorie wurde bereits während der WM von verschiedenen On- und Offline-Medien aufgeworfen und bekommt nun nach Untersuchungen der Zwischenzeiten der Athleten kräftig Futter. Auch bei den deutschen Schwimmern lassen sich Unregelmäßigkeiten erkennen, deren Ursache eine Strömung im WM-Becken sein könnte. Selbst die EM 2014 in Berlin könnte damit vor einem Problem stehen.
Der Coach von Ausdauerspezialist Pal Joensen von den Faröer Inseln war einer der ersten, der sich wunderte: Schwamm sein Schützling im Finale über die 1500m Freistil bei der WM in Barcelona in die eine Richtung des Beckens, verlor er auffällig viel Zeit auf die Konkurrenz. Als er jedoch nach der Wende in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war, konnte er die verlorene Zeit wieder aufholen. Das Spiel wiederholte sich über die gesamte Dauer des Rennens. Dieses für die normalerweise konstant wie ein Uhrwerk schwimmenden Ausdauerspezialisten ungewöhnliche Verhalten war keine Ausnahme: Der Blick auf die Zwischenzeiten der Athleten bei der Schwimm-WM in Barcelona zeigt auffällige Unregelmäßigkeiten.
Der Grund dafür: Im WM-Becken von Barcelona scheint es eine permanente Strömung, eine Art "Strudel" gegeben zu haben. Ursache für diesen soll das Filtersystem des im Palau Sant Jordi extra für die WM aufgebauten, portablen Beckens gewesen sein. In dieses wurde durch die Filteranlage auf den oberen Bahnen auf der Wendenseite Wasser eingepumpt. Auf den unteren Bahnen hingegen war dieser Wassereinlass auf der Startseite. Dies sorgte wohl dafür, dass die Athleten auf den Bahnen 0 bis 4 auf dem Weg zur Wende eine leichte Gegenströmung hatten, während die Athleten auf den Bahnen 5 bis 9 mit dem Strom schwammen. Nach der Wende, wenn die Sportler "zurück" zur Startbrücke schwammen, kehrte sich dieses Bild dann um.
Wir haben die vermutete Strömung in einer Grafik dargestellt:
Die Strömungsgeschwindigkeit soll etwa einen cm pro Sekunde betragen haben. Pro Bahn kann dies also bis zu 35cm ausgemacht haben - ein Abstand der über Sieg und Niederlage entscheiden kann. Während die Athleten auf den längeren Distanzen mal mit und mal gegen die Strömung geschwommen sein sollen, könnte diese vor allem auf den 50m-Strecken einen maßgeblichen Einfluss auf die Rennen gehabt haben. So schwammen die Athleten auf den Bahnen 0 bis 4 in den Vorrunden und Finals gegen den "Strudel", während die Schwimmer auf den Bahnen 5 bis 9 durch ihn bevorteilt wurden. Je weiter außen die Athleten schwammen, umso größer soll der Einfluss der Strömung gewesen sein.
Bahnen 5 bis 8 über die 50m-Strecken bevorteilt
Der Blick auf die Statistik spricht für diese Unregelmäßigkeit: Von den 24 Medaillen, die es über die 50m-Strecken zu gewinnen gab, gingen 17 an Athleten, die auf den Bahnen 5 bis 8 starteten. Dies ist umso bemerkenswerter, da theoretisch die anderen Seite des Beckens etwas schneller sein müsste, da auf Bahn 4 stets der schnellste Athlet der Halbfinals, auf 5 nur der zweitschnellste, auf 3 der drittschnellste, auf 6 nur der viertschnellste usw. gesetzt werden.
Ob und wie die deutschen Schwimmer durch den Strudel im WM-Becken beeinflusst wurden, ist aufgrund der geringen Datenmenge nur bedingt nachzuvollziehen. Wenn wir die in Barcelona über die 50m-Strecken geschwommenen Zeiten mit den Leistungen der Deutschen Meisterschaften vergleicht, so fällt auf, dass alle Athleten, die ihre Zeiten verbessern konnten, auf den Bahnen 7 bis 9 unterwegs waren. Eine Garantie für stärkere Leistungen waren diese Bahnen bei den DSV-Schwimmern jedoch nicht.
Strecke | Schwimmer | Bahn | WM-Zeit | Zeit DM |
Abweichung* |
50m Freistil | C. Fildebrandt | 9 | 00:22,64 | 00:22,66 | 99,91% |
50m Brust | Hendrik Feldwehr | 3 | 00:27,59 | 00:27,47 | 100,44% |
50m Schmetterling (VL) | Steffen Deibler | 6 | 00:23,50 | 00:23,35 | 100,64% |
50m Schmetterling (HF) | Steffen Deibler | 8 | 00:23,02 | 00:23,35 | 98,59% |
50m Schmetterling (F) | Steffen Deibler | 7 | 00:23,28 | 00:23,35 | 99,70% |
50m Rücken | Felix Wolf | 9 | 00:25,90 | 00:26,14 | 99,08% |
50m Freistil (VL) | Dorothea Brandt | 5 | 00:24,78 | 00:24,51 | 101,10% |
50m Freistil (HF) | Dorothea Brandt | 3 | 00:24,85 | 00:24,51 | 101,39% |
50m Freistil (F) | Dorothea Brandt | 1 | 00:24,81 | 00:24,51 | 101,22% |
50m Freistil (VL) | Daniela Schreiber | 1 | 00:26,24 | 00:25,24 | 103,96% |
50m Brust | Caroline Ruhnau | 1 | 00:31,78 | 00:31,57 | 100,67% |
50m Schmetterling | Alexandra Wenk | 8 | 00:26,54 | 00:26,69 | 99,44% |
50m Rücken | Selina Hocke | 8 | 00:29,50 | 00:28,63 | 103,04% |
*DM-Zeit entspricht 100%
Auffälligkeiten bei Ausdauerschwimmern besonders deutlich
Besonders deutlich wurden die Auffälligkeiten jedoch bei den Ausdauerschwimmern. Hier war Pal Joensen bei weitem kein Einzelfall. Bei den meisten Athleten schwankten die 50m-Zwischenzeiten in Abhängigkeit davon, in welche Richtung sie schwammen. Hier war der größte Einfluss ebenfalls auf den äußeren Bahnen zu beobachten. Auch die deutschen Langstreckenschwimmer waren anscheinend davon betroffen. Beispielhaft haben wir dafür die WM-Zwischenzeiten von Isabelle Härle über die 800m Freistil und Sören Meißner über die 1500m Freistil herangezogen und diese mit den entsprechenden Zwischenzeiten der Deutschen Meisterschaften verglichen:
Dabei wird eindrucksvoll der Einfluss, den die Stömung gehabt haben dürfte, deutlich. Während die Zeiten der Deutschen Meisterschaften einen eher unauffäligen Verlauf mit wenigen Ausreißern haben, gleicht das Bild der WM-Zeiten bei beiden DSV-Athleten einer Zick-Zack-Linie. Nimmt man die durchschnittlichen Zeiten aller Athleten auf den 800 und 1500m Freistil unter die Lupe, so bestätigt sich dieses Bild. Diese und weitere Analysen sind auf dem Blog "Astute Crunch" zu finden, der als einer der ersten einen intensiven Blick auf dieses Thema geworfen hat.
Portables Becken auch bei der Schwimm-EM 2014 in Berlin im Einsatz
Das renomierte US-Medium Swimming World Magazine hat nun eine Studie beim "Counsilman Center for the Science of Swimming" in Auftrag gegeben. Diese soll die Daten der Schwimm-WM 2013 unter die Lupe nehmen. Sollte sich bestätigen, dass eine Strömung im Becken Einfluss auf die Ergebnisse hatte, könnten auch die Europameisterschaften in Berlin im kommenden Jahr vor einem Problem stellen. Die Wettbewerbe der Beckenschwimmer werden nicht wie z.B. die Deutschen Meisterschaften der vergangenen Jahre in der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark sondern im benachbarten Velodrom ausgetragen. Dort soll ein portables Becken, wie es auch bei der WM in Barcelona verwendet wurde, aufgebaut werden. Die EM-Organisatoren sollten daher ein waches Auge in dieser Frage haben. Wir behalten die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem "WM-Strudel" weiter im Blick und informieren sobald es neue Erkenntnisse gibt.