(24.06.2018) Klete Keller war einer dieser Helden aus der zweiten Reihe im mit Superstars gespikten Nationalteam der USA. Seinen großen Moment hatte er 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen. Seit sieben Jahren waren die Australier in der 4x200m Freistilstaffel damals ungeschlagen und gingen als amtierender Weltmeister, Titelverteidiger und Weltrekordhalter an den Start. Doch das US-Quartett mit den beiden jungen aufstrebenden Top-Schwimmern Michael Phelps und Ryan Lochte wollten diese Serie knacken.

Am Ende waren es aber nicht Phelps oder Lochte, die für Furore sorgten, sondern Schlussschwimmer Klete Keller. Mit einer knappen Länge Vorsprung ging er auf die Reise, doch für die Staffel der Australier verfolgte ihn kein Geringerer als Ian Thorpe, der Superstar der damaligen Schwimmwelt. Thorpe, in seinem charakteristischen Ganzkörperanzug, legte alles rein und holte schon auf der ersten Bahn fast den gesamten Rückstand auf. Doch Keller hielt dagegen. Kopf-an-Kopf lieferten sich die beiden ein packendes Rennen bis zum letzten Meter und mit hauchdünnen 13 Hundertsteln Vorsprung schlug der US-Amerikaner als Erster an.

Klete Keller war der Held des Tages. "Ich wusste beim Anschlag gar nicht, dass wir es geschafft hatten, doch als ich nach oben kam und das Wasser aus meinen Ohren lief, sah und hörte ich meine Teamkameraden jubeln. Das war ein unglaubliches Gefühl, etwas, das ich nie vergessen werde", erzählt Keller nun zurückblickend viele Jahre später in einer Veröffentlichung des US-Verbands.

Später wiederholten die US-Boys das Kunststück in der 4x200m-Staffel in Peking.  Auch Keller war hier mit dabei. Es sollte der glänzende Schlusspunkt einer Karriere werden, die ihm fünf Olympia- und acht WM-Medaillen bescherte. Im Anschluss an die Olympischen Spiele 2008 beendete er seine Laufbahn und widmete sich nun dem Familienleben.

"Innerhalb weniger Jahre wurde ich vom Olympiasieger zum Ehemann, Hauseigentümer (...) und einem Vater von drei Kindern", so Keller. Eigentlich klingt das nach einem, der mit beiden Beinen im Leben steht, doch für den damaligen End-Zwanziger kam der Wechsel irgendwie zu schnell. "Ich hatte wirklich Probleme die Person zu akzeptieren, die ich ohne das Schwimmen geworden war," meint der einstige Kraulspezialist, der damals Versicherungen, Software oder auch Finanzprodukte verkaufte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. 

"Schwimmer zu sein, war meine Identität für den größten Teil meines Lebens. Danach wechselte ich schnell in andere Rollen, ohne mir selbst Zeit zu geben, mit diesen wirklich zurechtzukommen. Ich hatte wirklich Probleme. Ich mochte meine Arbeit nicht und diese Unzufriedenheit schlich sich langsam auch in meine Ehe ein." Er sein kein guter Ehemann gewesen, gesteht Keller heute offen ein.

"Nach dem Schwimmen dachte ich, ich muss den gleichen Erfolg wie einst im Pool nun auch in meiner Arbeit finden. Egal, ob ich das, was ich machte, überhaupt mochte. Beim Schwimmen muss man oft egoistisch sein, um Erfolg zu haben. Aber wenn du ein Ehemann und Vater bist, musst du viel selbstloser sein. Und ich war das nicht."

Er hangelte sich einige Jahre so durch, doch dann passierte alles schneller, als gedacht. Die Ehe ging Anfang 2014 in die Brüche, Keller verlor nicht nur seine Frau und das Sorgerecht für die drei Kinder sondern auch seinen Job. Die Rückschläge und die nach wie vor fehlende Klarheit darüber, wer er denn nun eigentlich außerhalb des Schwimmbeckens ist, ließen ihn in eine tiefe Depression rutschen. Ohne große Ersparnisse wurde das Geld schnell knapp. Zunächst wohnte Keller immer für ein paar Wochen oder Monate bei Familienangehörigen oder Freunden. 

Als er auch denen nicht mehr auf der Tasche liegen wollte, ging er noch einen Schritt weiter. "Ich musste damals Unterhalt für meine Kinder zahlen und konnte mir keine Wohnung leisten, deswegen habe ich fast ein Jahr lang im Auto gelebt", erinnert sich Keller. Um nicht aufzufallen wechselte er immer zwischen den Großparkplätzen zweier Supermärkte hin und her, um dort in seinem Auto zu schlafen. Seine Kinder lebten damals nur wenige Kilometer weit entfernt, doch Kontakt durfte er zu ihnen nicht haben. Geld verdiente er ein wenig als Tischlergehilfe und Schwimmlehrer. Dieses investierte er unter anderem in eine Mitgliedschaft bei einem Fitnesscenter, wo er duschen und sich fit halten konnte.

Doch so konnte es natürlich nicht weitergehen. Irgendwann fasste er den Entschluss dorthin zu gehen, wo er einst als Athlet einige seiner besten Stunden verbrachte. Im Olympic Training Center von Colorado Springs zog er früher entspannt seine Bahnen, also setzte er sich hinters Steuer und siedelte im zurückliegenden Jahr in die Stadt am Fuße der Rocky Mountains um, wo er nun aktuell lebt.

Die neue und doch altbekannte Umgebung scheint ihm gut zu tun. Schnell fand er einen neuen Job. Keller arbeitet nun als Makler bei einem angesehenen Immobilienunternehmen. Und obwohl er jetzt viel weiter weg lebt, ist er seinen Kindern doch wieder deutlich näher. Mittlerweile hat er ein Besuchsrecht zugesprochen bekommen und fliegt regelmäßig zu ihnen. "Zu wissen, dass ich sie regelmäßig sehen kann, ist ein wahres Geschenk. Sie all die Jahre nicht bei mir zu haben, war härter, als ich mir eingestehen wollte."

Stück für Stück kämpft sich Keller aus seiner Identitäts- und Lebenskrise heraus. "Es war ein harter Weg, aber ich fühle mich gestärkt durch das, was ich durchgemacht und dabei gelernt habe. Diese gesamte Erfahrung hat mich bescheidener und dankbarer gemacht und mir eine neue Perspektive gegeben über Schwimmen, Arbeit, Leben, Familie, einfach alles. Es war hart, doch ich war stets jemand, der aus seinen Fehlern mehr gelernt hat als aus seinen Erfolgen. Ich bin auf dem richtigen Weg", blickt Keller nun optimistisch voraus.

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