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(09.09.2020) Der Körper ist das wichtigste Werkzeug in unserem Sport. Wie gut er auf den Umgang mit dem Wasser trainiert ist, entscheidet darüber, wie wir mit diesem fremden Element umgehen können. Doch was ist, wenn wir mit unserem Körper nicht zufrieden sind? Wenn wir das Vertrauen in unser Werkzeug verlieren? Oft kommt der Anstoß dafür von außen. Ein kurzer Kommentar hier, ein verstecktes Tuscheln dort und schon zweifeln wir beim Blick in den Spiegel oder auf die Waage an uns selbst. Das dies unbewusst und ungewollt mentale Probleme hervorrufen und auch einen Einfluss auf die persönliche Entwicklung im Leistungssport haben kann, schildert die mehrfache DM-Medaillengewinnerin Margarethe Hummel nun in einem offenen und ehrlichen Gastbeitrag für die neue Herbstausgabe des swimsportMagazine.

„Ich war sehr früh sehr erfolgreich und so lastete automatisch auch Druck auf mir“, erinnert sich die heute 22-Jährige darin an die Anfangsphase ihrer sportlichen Laufbahn. „Irgendwann hörte ich Gerüchte, dass man mich zu dünn fand. Vereinzelt wurde sogar von Magersucht gesprochen, da man meine Rippen beim Start sehen konnte. Das war das erste Mal, dass nicht über meine Leistung, sondern über meinen Körper geredet wurde. Damals war ich 12 oder 13.“

Mit der Pubertät und dem Einstieg ins Krafttraining hätte sich dies nicht etwa gebessert, sondern der Fokus auf Körper und Gewicht habe sich noch verstärkt. „Auf einmal hieß es, dass ich zu schwer sei. Mir wurde eingeschärft, dass ich nur gute Leistungen erbringen könne, wenn ich ein bestimmtes Gewicht hätte“, schreibt Margarethe. „Es ging nicht um die Muskel-Fett-Zusammensetzung, es ging um eine Zahl auf der Waage. Die Korrelation von Wettkampfgewicht und Leistung wurde mein Dogma. Ich orientierte mich nicht mehr an meinen erbrachten Leistungen im Training, sondern an dem Gewicht, das am Wettkampfmorgen auf meiner Waage stand. Wenn dieses nicht stimmte, fühlt ich mich plötzlich schlechter im Wasser, war müde oder abgelenkt. Ich stand auf dem Startblock und hatte schon aufgegeben.“

"Ich orientierte mich nicht mehr
an meinen erbrachten Leistungen im Training,
sondern an dem Gewicht,
das am Wettkampfmorgen auf meiner Waage stand."

Bestärkt wurde dies durch regelmäßiges Wiegen vor dem Training. Zweimal pro Woche – jeweils vor und nach dem Wochenende – ging es auf die Waage und die Entwicklung wurde genaustens dokumentiert. Dass solch ein Vorgehen ungewollte Nebenwirkungen haben kann, zeigte jüngst erst der Blick nach Dänemark. Anfang des Jahres wurde dort ein Untersuchungsbericht vorgestellt, laut dem regelmäßiges öffentliches Wiegen von Sportlern des Nationalteams und ein übertriebener Fokus auf Gewichtsfragen in den 2000er Jahren dazu geführt habe, dass bei einem Drittel der betroffenen Schwimmer Symptome von Essstörungen auftraten. Die Direktorin des dänischen Schwimmverbandes erklärte im Zuge der Veröffentlichungen ihren Rücktritt.

Margarethe beschreibt in ihrem Beitrag noch einen weiteren Faktor, durch den die Gewichtsfrage in ihrer Laufbahn immer wieder auf die Tagesordnung trat: Der Klatsch und Tratsch bei Wettkämpfen, wo sich der Blick nicht immer nur auf die Zeiten, sondern auch die äußere Erscheinung der Konkurrenz richtet. „Es wird sehr viel geredet und jedes Detail des Körpers ausgewertet. ‚Boar eklig, wie da der gesamte Oberschenkel wackelt beim Abstoß‘, war noch eines der harmlosesten Dinge, die ich im Laufe der Jahre gehört habe“, erzählt die regelmäßige Finalistin Deutscher Meisterschaften zurückblickend, gibt dabei aber auch ehrlich zu: „Ich möchte mich explizit nicht als Opfer darstellen. Ich war Teil davon, ich habe mitgemacht. Ich habe mitgemacht, weil ich mir nichts dabei gedacht habe.“ Man wertet Menschen ab, um sich selbst besser zu fühlen, meint Margarethe. „Damit wir einen Grund haben, Leistung zu relativieren. Schwächen anderer aufzeigen, damit wir unsere eigenen verdecken. Ich kenne nichts, was unsportlicher ist als das, aber das ist die Normalität.“

„Ich möchte mich explizit nicht als Opfer darstellen.
Ich war Teil davon, ich habe mitgemacht.
Ich habe mitgemacht, weil ich mir nichts dabei gedacht habe.“

Bei dem von Margarethe beschriebenen Verhalten handelt es sich um ein Phänomen, das sich nicht nur auf den Schwimmsport beschränkt: Bodyshaming. „Damit werden (unbedachte) Äußerungen oder Verhaltensweisen bezeichnet, die andere aufgrund ihres mit den gängigen Normen nicht übereinstimmenden Aussehens diskriminieren, beleidigen oder gar demütigen, was dann wiederum ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper oder Essen auslösen kann“, erklärt unser Sportpsychologe Lukas Mundelsee. Im swimsportMagazine ordnet er Margarethes Erfahrungen aus objektiv fachlicher Sicht ein. Dabei macht er deutlich: Das Schwimmen gehört zu den Risikosportarten, was die Entwicklung von Essstörungen anbelangt. Zum einen sei da der durchaus ja bestehende Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Leistung. Zum anderen „die leichte Bekleidung, die den Blick auf den Körper ermöglicht und damit den Druck auf das eigene Aussehen um ein Vielfaches erhöht.“ Auch das gesellschaftliche und sportorganisatorische Umfeld fördere diese Tendenzen, sei es durch die Sportler, die sich z.B. auf sozialen Netzwerken mit gleichaltrigen (Nicht-)Sportler*innen vergleichen oder auch durch Coaches, die ihren Schützlingen eigentlich helfen wollen, aber manchmal aus Unwissenheit oder Unbedachtheit genau das Gegenteil bewirken. „Weiterhin befinden sich Sportler*innen wie Trainer*nnen in einem Verband, der den nationalen Vergleich schon in jungen Jahren z.B. durch den Jugendmehrkampf fördert und beispielsweise im Rahmen des Landesvielseitigkeitstests selbst signalisiert, wie wichtig ihm das Gewicht ist“, so der Psychologe, der im Heft auch Hinweise dazu gibt, wie alle Beteiligten mit dem Thema Bodyshaming umgehen können, denn der Körper spielt in unserem Sport natürlich eine wichtige Rolle.

Bodyshaming: 
Äußerungen oder Verhaltensweisen,
die andere aufgrund ihres Aussehens diskriminieren,
beleidigen oder gar demütigen

Auch Margarethe weist in ihrem Artikel nicht von der Hand, dass Körperbau und Leistung zusammenhängen. „Der Fokus sollte aber zuerst auf allen anderen Parametern liegen, als auf der nackten Zahl auf der Waage.“ Für sie selbst war es durchaus eine Herausforderung, sich ihren eigenen Erfahrungen zu stellen. Die sportliche Laufbahn hat die einstige Brustschwimmerin 2018 beendet, doch die Leidenschaft für den Sport klingt immer wieder zwischen den Zeilen durch. „Schwimmen war und ist ein großer Teil meiner Identität. Es gibt für mich kein besseres Gefühl als durchs Wasser zu gleiten. Und was ist geiler, als auf den letzten 15m an der Konkurrenz vorbeizuziehen? Was ist cooler, als Rekorde zu brechen? Was gibt einem mehr Bestätigung, als von anderen als sportliches Vorbild gesehen zu werden? Diese Dinge kann man nur im Sport erreichen und deswegen ist er so großartig.“ Dennoch waren die Erinnerungen auch stets geprägt von ihren Erfahrungen außerhalb des Schwimmbeckens. „Mit zwei Jahren Abstand habe ich mir das erste Mal bewusst Zeit genommen, mich mit meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Hintergründe, Verhaltensweisen, das System Leistungssport zu hinterfragen, hat mich eine Menge Energie gekostet“, gibt sie zu.

Mit ihrem mutigen Schritt, sich öffentlich über ihre Erfahrungen zu äußern, hofft die Studentin, eine Diskussion über den gegenseitigen Umgang in der Schwimmszene anzustoßen. „Es ist nicht leicht Denkmuster aufzubrechen, aber man muss beleuchten, warum wir so handeln und wer davon profitiert.“ Für Margarethe ist klar: „Meiner Meinung nach absolut niemand. Und wir sind doch besser als das, oder?“

Den kompletten vierseitigen Gastbeitrag von Margarethe mit einer Einordnung des Themas von unserem Sportpsychologen Lukas Mundelsee findet ihr in der aktuellen Herbstausgabe 2020 des swimsportMagazine.

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Hinweis: Auf www.anad.de gibt es einen kostenfreien Selbsttest, um einzuschätzen, ob man selbst von einer Essstörung betroffen ist. Dort findet man auch mögliche Ansprechpartner für Hilfsangebote.

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