(29.06.2016) Hierzulande führt auf den Brustdistanzen seit Jahren kein Weg an Marco Koch vorbei. In Großbritannien war das lange Zeit ähnlich. Gegen Michael Jamieson war auf der Insel über 200 Meter Brust zwischen 2010 und 2014 kein Kraut gewachsen. Im Rahmen der LZR Racer X Präsentation von Speedo in London haben wir ihn getroffen.

London, Dienstagmorgen, Aquatics Center im Queen Elizabeth Olympic Parc. Die Briten sind niedergeschlagen. Die einen wegen des Brexit-Referendums am vergangenen Donnerstag, die anderen wegen der blamablen Niederlage der Three Lions im EM-Achtelfinale gegen Island. Im Olympia-Pool von 2012 schwimmt sich die Londoner Bevölkerung an diesem Morgen quasi die Wut aus den Bäuchen.

Michael Jamieson dagegen wirkt befreit. Er lacht, unterhält sich angeregt, springt entspannt ins Becken. Ob ihn die Niederlage der Engländer denn gar nicht störe? „Ach ganz im Gegenteil“, sagt Jamieson mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Ich bin doch Schotte“. Wesentlich mehr interessiert sich der 27-Jährige an diesem Tag für die neue Schwimmhose seines Sponsors Speedo. Vor den Augen einiger Journalisten und Fotografen zieht der gebürtige Glasgower ein paar Bahnen und erklärt die Besonderheiten des neuen LZR Racer X der von Speedo für die Olympischen Spiele in Rio entwickelt wurde.

Michael Jamieson ist die Leichtigkeit mit der er durchs Wasser schwimmt anzusehen, er hat Spaß, und das obwohl er in Rio nicht die Möglichkeit hat im neuen Jammer, verziert mit den britischen Farben, an den Start zu gehen. Die Qualifikation dazu hat er vor einigen Wochen bei den Britischen Meisterschaften verpasst. Im Finale über 200 Meter Brust wurde Jamieson nur Fünfter und blieb in 2:10,55 Minuten mehr als zwei Sekunden über der Norm. Ausgerechnet über seine Paradisziplin, ausgerechnet über die Strecke auf der er seine größten Erfolge feierte, ausgerechnet über die Distanz, über die er bei den Olympischen Spielen 2012 vor heimischen Publikum Zweiter wurde und damit die beste Platzierung der sonst eher schwachen britischen Schwimmer einfuhr. Heute, am Ort seines größten Erfolgs, aber auch seiner bittersten Niederlage, ist Michael Jamieson darüber hinweg. Er hat sich mit der verpassten Qualifikation abgefunden. „Einfach war es nicht, aber ich konnte mich schneller damit abfinden, weil ich so weit weg war von der Qualifikation. Das hat es für mich um einiges leichter gemacht“, erzählt der Brustschwimmer.

Jamieson ist mit sich im Reinen. Er habe die für Rio benötigte Zeit in seiner Karriere sieben, acht Mal erreicht, mittlerweile sei sein Körper aber nicht mehr in der Lage an die 2:08-Marke heranzukommen. In den letzten beiden Jahren – bereits 2015 verpasste Jamieson die Weltmeisterschaften in Kasan – war sein Körper von Verletzungen geplagt. Chronische Rückenschmerzen und Herzrhythmusstörungen hinderten ihn am Training. Nach den nationalen Meisterschaften verordnete sich der Vizeweltmeister von 2012 auf der Kurzbahn eine Denkpause.

In den britischen Medien wurde bereits über einen Rücktritt spekuliert. Gegenüber swimsportnews.de sagt Michael Jamieson. „ Ich denke es ist vorbei. Wir haben in Großbritannien eine Falange von Weltklasse-Brustschwimmern. Zudem macht mein Körper die hohen Belastungen im Training nicht mehr mit.“ In Zukunft wolle er das Schwimmen aber weiter als Hobby betreiben und an einigen Triathlon-Rennen teilnehmen. Für nächstes Jahr sei bereits die halbe Ironman-Distanz geplant, wobei Jamieson verrät: „Ich hasse es wirklich sehr zu laufen und muss mich dafür unglaublich motivieren“. Beruflich orientiert sich der 27-Jährige gerade in Richtung USA. Er wolle Motivationsvorträge in Übersee halten und habe dafür mit Speedo einen starken Partner an seiner Seite.

Mit Michael Jamieson verliert der britische Schwimmsport nicht nur seinen einzigen männlichen Medaillengewinner der Spiele von London, sondern auch seinen Vorreiter im Brustschwimmen. Denn mit Jamiesons Entwicklung zum Weltklasse-Schwimmer ging auch der steile Aufstieg des Vereinigten Königreichs über die Brustdistanzen einher. Athleten wie Adam Peaty, Ross Murdoch oder Andrew Willis dominieren längst nicht mehr nur in Europa. „Alle drei haben in Rio die Möglichkeit auf dem Podium zu stehen“, sagt Jamieson.

Als an diesem Dienstag gegen Mittag alle Fotos im Kasten sind, jeder Journalist seine Fragen gestellt hat, die vielen Sponsorenhände geschüttelt waren, verlässt Jamieson „seine“ Halle nicht ohne noch einmal einen Blick ins weite Rund zu werfen. Für alle Freizeitschwimmer ist das Olympiabecken im Stadtteil Stratford an diesem Tag nur ein Ventil um Dampf abzulassen. Für Michael Jamieson bleibt das London Aquatics Center ein Leben lang der Ort seines größten Erfolgs.

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