(07.10.2021) Bei den Olympischen Spielen in Tokio konnte der Deutsche Schwimm-Verband in seinen einzelnen Sparten insgesamt fünf Medaillenplatzierungen und mit dem Sieg von Florian Wellbrock im Freiwasser nach dreizehn Jahren auch endlich wieder einen Olympiasieg bejubeln. Ein Aufwärtstrend. Dennoch schneidet der Fachverband im Ranking der 26 deutschen olympischen Sommersportarten vor allem in den Kategorien Erfolg und Kaderpotenzial nur mittelmäßig ab. Dies zeigen die Ergebnisse der Potenzialanalysesystem-Kommission (PotAS), die das Potential der einzelnen Sportarten bewertet hat und deren Abschlussbericht im September in Berlin vorgestellt wurde. Es mag kurios anmuten, doch der DSV belegt zum Teil Spitzenplätze, hält in einer Kategorie aber auch die rote Laterne.

Die PotAS-Analyse ist Teil der nach den Olympischen Spielen 2016 durch das Bundesinnenministerium (BMI) und den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) beschlossenen Leistungssportreform. Ein Grundgedanke: Fördermittel, die dem Spitzensport zur Verfügung gestellt werden, sollen stärker an den vorhandenen Potenzialen in den jeweiligen Disziplinen orientiert verteilt werden. 

Dafür wurde die sogenannte PotAS-Kommission ins Leben gerufen, die die Erfolgsaussichten der olympischen Spitzenverbände hinsichtlich sportwissenschaftlicher und sportfachlicher Leistungskriterien analysiert und gewichtet hat. Davon ausgehend wurde eine Rangreihenfolge der einzelnen Disziplinen erstellt. Diese soll die wesentliche Grundlage für die Bemessung der Fördermittel im neuen Olympiazyklus bilden. Das System gliedert sich in drei inhaltliche Säulen: Erfolg, Kaderpotenzial in Hinsicht auf die zukünftige Leistungsentwicklung und Struktur bzw. Rahmenbedingungen innerhalb des Verbandes.

Um die Spitzenverbände in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2020 zu entlasten, wurde bereits 2019 ein Vorbericht veröffentlicht, in dem die Verbandsstruktur bewertet wurde. Der DSV belegte damals Rang sieben von 26 nationalen Sportverbänden. Diese Analyse wurde nun auf Grundlage der Ergebnisse der Spiele in Tokio, der Qualifikation und vorolympischer Resultate (EM, WM, etc.) ergänzt. Hier schnitt der DSV mit Rang 17 (Erfolg) und 15 (Kaderpotenzial) deutlich schlechter ab, sodass der Verband in der Gesamtabrechnung nun Rang zehn unter Deutschlands Sommersportarten belegt.  

Doch das Bild ist differenziert zu betrachten: Die Bewertung fand nämlich nicht nur auf Ebene des Gesamtverbandes, sondern auch für die einzelnen Disziplinen statt, da die Förderung letztlich nicht an die Fachverbände als Ganzes, sondern für die jeweiligen Disziplinen ausgeschüttet wird. Der DSV wurde dahingehend in die Disziplinen Freiwasser (w/m), Schwimmen (w/m), Synchronschwimmen (w), Wasserball (w/m) und Wasserspringen (w/m) gefächert. Die einzelnen Sportarten schnitten in der PotAS-Analyse sehr unterschiedlich ab.

Während die männlichen Freiwasserschwimmer mit 93,54% den höchsten PotAS-Wert aller insgesamt 103 Disziplinen der olympischen Sommersportarten aufweisen können und damit auf dem ersten Rang liegen, schneiden die Synchronschwimmerinnen mit 30,80% am schlechtesten ab (Rang 103) und gehören auch in den einzelnen Subkategorien jeweils zu den Schlusslichtern. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Deutschland bei den Olympischen Spielen keine Synchronschwimmerinnen an den Start schicken konnte. Das Duett aus Marlene Bojer und Michelle Zimmer hatte einen Startplatz bei der Qualifikation in Barcelona knapp verpasst.

Auch die deutschen Wasserballer hatten keine Auswahl nach Tokio schicken können. Sie mussten nach vier verlorenen Spielen bereits in der Vorrunde der Qualifikation die Segel streichen. Die Ergebnisse der Olympischen Spiele bzw. der Qualifikation sind jedoch ein ausschlaggebendes Kriterium für die Bewertungen in der Kategorie Erfolg. Punkten konnten hier vor allem die Freiwasserschwimmer, die mit der Goldmedaille von Florian Wellbrock über die 10km und vier erkämpften Startplätzen auf durchaus starke Spiele zurückblicken können.

Positiv aufzufassen sind auch die Bewertungen der Wasserspringer und Wasserspringerinnen in der Kategorie Kaderpotenzial. Dort liegt der Verband jeweils auf dem ersten Platz des Rankings. Betrachtet wurde dabei die prozentuale Übereinstimmung zwischen einer im Vorfeld der Olympischen Spiele vorgenommenen Medaillenpotenzialabschätzung des Spitzenverbandes mit den tatsächlich erzielten Ergebnissen in Tokio. Die Wasserspringer Patrick Hausding/Lars Rüdiger und Tina Punzel/Lena Hentschel konnten mit zwei Bronzemedaillen jeweils im 3m-Synchron-Wettbewerb das beste deutsche Ergebnis seit den Olympischen Spielen in Peking 2008 einfahren. Das macht sich auch bei der PotAS-Analyse bemerkbar.

Doch das Bewertungsprojekt ist innerhalb des deutschen Sports zusehends umstritten. Einige Spitzenverbände haben nach Veröffentlichung des Abschlussberichts bereits ihren Unmut über die Ergebnisse geäußert. Verständlich: Der deutsche Spitzensport ist stark abhängig von den Fördermitteln des Bundes. Der ehemalige DSV-Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen betonte bereits 2018 die Relevanz, die der Potenzialanalyse beigemessen werden müsse. Ein gutes Ergebnis habe für den Deutschen Schwimm-Verband fast schon existentielle Bedeutung, meinte er damals und kritisierte, dass die internationale Konkurrenz, die in den einzelnen Disziplinen sehr unterschiedlich ist, nicht in die Bewertung mit einfließe. Gerade Sportarten mit dominierenden Nationen wie das Schwimmen mit den USA und das Wasserspringen mit China seien somit in der Kategorie Erfolg benachteiligt. Das Bundesinnenministerium prognostizierte, dass durch die PotAS-Analyse die Spreizung der Förderhöhen zwischen den einzelnen Verbänden weiter zunehmen werde. Für einige Verbände könnte es sogar schwer werden, in ihrer Form weiterhin bestehen zu bleiben. 

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Ergebnisse der PotAS-Analyse tatsächlich auf die Höhe der Fördergelder auswirken werden. Die potenzialorientierte Fördersystematik soll ab Januar 2022 greifen. Mit ersten möglichen Auswirkungen wird frühestens in Paris 2024 gerechnet, doch zuvor darf vor allem von den weiter hinten platzierten Verbänden einiges an Gegenwind erwartet werden. Und nicht zuletzt steht uns noch ein möglicher Wechsel an der Spitze des Innenministeriums bevor. Beim DSV kommt erschwerend hinzu, dass der verantwortliche Posten des Leistungssportdirektors derzeit nur übergangsweise besetzt ist. Gute zweieinhalb Jahre vor den nächsten Olympischen Spielen steht der deutsche Spitzensport also mal wieder vor einigen großen offenen Fragezeichen beim Thema Förderung und Finanzen. 

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