(16.07.2020) Von wegen, in der Corona-Krise habe der Schwimmsport still gestanden: Während die Schwimmhallen geschlossen waren, gab es in Bayern einiges an Bewegung am Beckenrand. Der Schwimmverband des Freistaats hat seine Stützpunktstruktur neu geordnet. Die einen freut es, die anderen sind verärgert und irritiert.

Erlangen ist raus, Nürnberg ist drin. So die Kurzfassung des bayrischen Stützpunktkarussells. Während der TB 1888 Erlangen nach zwölf Jahren seinen Status als Landesstützpunkt verliert, kann sich der 1. FC Nürnberg Schwimmen über eben jenen freuen. In der Startgemeinschaft Mittelfranken sind beide Clubs vereint, doch die Stützpunktfrage sorgte und sorgt für Verstimmungen. Verständlicherweise vor allem bei den Erlangern.

Dort wundert sich Vereinspräsident Matthias Thurek  gegenüber dem Bayrischen Rundfunk, dass die Zusammenarbeit beendet wurde, "ohne über irgendetwas zu sprechen, wie man zum Beispiel auch Synergien zwischen Nürnberg und Erlangen im Sinne des Schwimmsports nutzen kann."

Den Wechsel des Stützpunkts nach Nürnberg begründet der Bayerische Schwimmverband (BSV) als Schritt für eine erfolgreiche(re) Zukunft. In der Frankenmetropole sieht man dank Internat, Sportschule, und dem 2015 neu eröffneten 50m-Bad die besser Infrastruktur und damit mehr Potential als im benachbarten Erlangen. "Alle genannten Einrichtungen liegen (...) nah aneinander und sorgen für kurze Wegezeiten. Zudem stehen dem BSV im Langwasserbad umfänglich Wasserflächen und Räumlichkeiten für das Kraft- und Landtraining (zu optimalen Trainingszeiten) zur Verfügung. Zusätzliche Bedarfe (bspw. an Feiertagen oder in den Schulferien) können problemlos beantragt werden", erklärt der Bayrische Schwimmverband dazu gegenüber swimsportnews.de. Man wolle langfristig etwas aufbauen und dem Nachwuchs bessere Unterstützung bieten.

Eine Chance für Nürnberg, doch ein Rückschlag für den Traditionsstandort Erlangen, wo in den vergangenen 25 Jahren immerhin sportliche Erfolge auf allen Ebenen eingefahren wurden. Die Blütezeit war dabei sicher die Ära der Hannah Stockbauer, die in den frühen 2000er Jahren mit Titeln bei Welt- und Europameisterschaften glänzte. Auch jetzt stellen die Erlanger mit fünf Bundeskaderathleten einige Kandidaten, die in der deutschen Nationalmannschaft mitmischen könnten, darunter die EYOF-Teilnehmerin Kellie Messel oder auch Multitalent Nikita Rodenko.

Indirekt deuten die BSV-Verantwortlichen jedoch an, dass diese aktuellen Erfolge auf nationaler Ebene nicht ausreichend sind. So erklärte Schwimmwart Wolfgang Göttler am Rande der Ernennung des LSP in Nürnberg, "dass es am Landesstützpunkt in Erlangen in den letzten zwölf Jahren nur einen internationalen Titel zu verzeichnen gab, währenddessen in Würzburg und München Olympiateilnahmen und Weltmeistertitel erreicht wurden."

Damals, zur Zeit einer Hannah Stockbauer, als auch heute in Erlangen am Beckenrand: Roland Böller. Der erfahrene Coach, der als einer der wenigen derzeit aktiven deutschen Trainer seine Schwimmer aufs Olympia-Podest bringen konnte, muss durch die Entscheidung des Bayerischen Verbandes um seinen Job bangen. Sein Vertrag läuft noch bis Ende des Jahres, doch mit dem Verlust des Stützpunktstatus fallen auch die Verbandsmittel weg, die Böllers Stelle bisher zur mitfinanziert hatten. Er selbst sei überrascht gewesen über die Neustrukturierung, da er im Vorfeld nicht darüber informiert worden sei, erklärte Böller vor wenigen Tagen. "Aber ich bin Angestellter des Verbandes, ich habe das zu respektieren. Wenn der Verband die Möglichkeit sieht, das woanders besser zu machen, dann ist das eine Entscheidung des Verbandes, die ich so hinzunehmen habe."

Woanders besser machen soll es Jill Becker, die die zum 1. September Stützpunktleitung in Nürnberg übernimmt. Die Erlanger Sportler aber setzen ihr Vertrauen zunächst weiterhin in den erfahrenen Meistermacher Böller. "Ich möchte auf jeden Fall in Erlangen bleiben, ich überlege mir auch gar nicht nach Nürnberg zu gehen. Denn die Trainer dort sind noch nicht so lange in der Branche und der Roland kann einfach mehr bieten, glaube ich. Ich fühle mich hier viel wohler als in Nürnberg", meint so zum Beispiel Top-Talent Kellie Messel. Der Verband stellt auf seiner Website klar, dass er dem Willen der Sportler nicht im Wege stehen wolle. Auf Antrag könne es Ausnahmegenehmigungen für Kaderangehörige geben, die trotz der Umstrukturierung weiterhin in Erlangen statt Nürnberg trainieren möchten. "Dem BSV ist es wichtig, dass die Verlegung des Stützpunktes so reibungslos wie möglich abläuft und vor allem zum Vorteil der Sportler*innen. Es geht ihm nicht darum, die Sportler*innen aus ihrem gewohnten Umfeld rauszureißen", teilt der Verband schriftlich mit.

In Erlangen ist man derweil gewillt, an einer eigenen Zukunftsperspektive zu arbeiten. "Wir werden das so auch nicht hinnehmen", erklärte Matthias Thurek dazu gegenüber dem Portal nordbayern.de. "Wir werden da einen Weg finden. Und wir werden das Schwimmen in Erlangen noch viel stärker machen, als es war."

Im Stützpunktkarussell gibt es übrigens noch einen lachenden Dritten: Da durch die Veränderung der Stützpunktstruktur finanzielle Mittel frei werden, schafft der BSV eine neue Trainerstelle. Allerdings nicht in Nürnberg oder Erlangen sondern in Würzburg, wo auch der Bundesstützpunkt der Freiwasserschwimmer angesiedelt ist. "Ein Gewinn für ganz Bayern", freut man sich beim Verband. 

 

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